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Porträt einer Frau Bild1

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Porträt einer Frau
Kopf, überlebensgroß
Inv.-Nr. Sk 141

Um 240–250 n. Chr.

Weißer, mittelkristalliner Marmor mit dunklen Adern.

H 32,5 cm
H Kinn bis Scheitel 26 cm


Fundort: Aus Kleinasien (?)

Zugang: Erworben 1990 im Kunsthandel K. Alavi, Zürich.


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Erhaltungszustand/Restaurierung: Am Hals gebrochen. Nase beschädigt. Hals, Kinn, Lippen, Augenbrauen, Augäpfel, Ohrmuschelränder, Frisur und vorderer Teil der Haarbinde bestoßen. Kleinere Flickungen an Unterlippe, l. Augenbraue, Wangen und Stirnhaar. Vordere Hälfte des Kopfes gelblich verfärbt, bräunliche Versinterungen. Restaurierung 1993: gereinigt, mit Standdübel gesockelt. 2001 gereinigt.

Beschreibung: Der leicht überlebensgroße Kopf neigt sich nach rechts. Das breite, annähernd rechteckige Gesicht ist flächig angelegt. Zwei lange Querfurchen durchziehen die niedrige, etwas fliehende Stirn. Die vorgewölbten Brauenbögen fallen nach außen ab und ziehen sich über der Nasenwurzel leicht zusammen. Dort bilden sich drei kurze vertikale Falten. Die Orbitale quellen etwas vor. An den äußeren Winkeln der mandelförmigen Augen bilden sich Krähenfüße. Schmale kantige Lider säumen die flachen großen Augäpfel. Das linke Auge weist eine schwach eingeritzte Iris und eine unnatürlich große, muldenförmige Pupillenbohrung auf, im rechten Auge sind sie aufgrund der Beschädigung nicht mehr zu erkennen. Unterhalb der Unterlider bilden sich Fältchen und leichte Schwellungen. Von den inneren Augenwinkeln laufen Furchen schräg abwärts. Zwischen der kurzen Nase und der Mundpartie liegt ein weiter Abstand. Die ausgeprägten Nasolabialfalten reichen bis über die Mundwinkel hinab, an denen sich Furchen zeigen. Die schmalen Lippen des breiten, fest geschlossenen Mundes sind kaum ausgearbeitet. Die großflächigen, relativ glatten Wangen, deren Knochen nur wenig hervortreten, verjüngen sich zum stumpfen Kinn hin. Das schwammige Untergesicht hat etwas unklare Konturen und ein deutliches Doppelkinn. Sanfte Hebungen und Senkungen modellieren das weiche Inkarnat. Die ursprüngliche Politur der Gesichtsoberfläche ist noch erhalten. Die Ohren sind sehr plump ausgearbeitet, im linken ist der Ohrmuschelrand unnatürlich nach innen verlängert, rechts ist er kaum ausgeformt. Die verkümmerten Ohrknöchel haben keine organische Verbindung zum Ohr.

Im Vergleich zum Gesicht ist die Frisur ziemlich grob ausgearbeitet. Das Haar ist in der Mitte gescheitelt und auf schlichte Weise glatt zurückgestrichen. Es ist oberhalb der freibleibenden Ohren, vor denen sich je eine kurze Locke löst, nach hinten zum Nacken geführt. Dort ist es schlaufenartig umgeschlagen und zu einem flachen Scheitelzopf aufgenommen. Er besteht aus neun schmalen Flechten, die eng am Kopf anliegen und bis zur Mitte des Oberkopfes hinaufreichen, wo sie einen halbrunden Abschluß bilden. Lange unregelmäßige Kerblinien gliedern das Haar in schmale gewellte Strähnen. Zickzackmuster mit flüchtig ausgeführten, vertikalen Zwischenschraffuren geben die Flechtzöpfe an. Um einen dicken Haarreif (Strophium) ist am Hinterkopf ein breites Band geschlungen, das lang in den Nacken hinabfällt. Dort ist auf der linken Seite ein Ansatz von Steinmasse zu erkennen, die weder der Frisur noch dem Haarband zuzuordnen ist und auch nicht mit einem Gewand in Verbindung gebracht werden kann. Auf der rechten Seite des Halses ist ein entsprechender Ansatz abgeplatzt.

Das Bildnis zeigt eine uns unbekannte ältere Frau mit matronalen Zügen. Die Scheitelzopffrisur mit glatt zurückgestrichenem Haar und Mittelscheitel bestimmt während der 40er Jahre des 3. Jhs. n. Chr. die weibliche Frisurenmode (Fittschen – Zanker 1983). Sie wird um die Jahrhundertmitte auch von der Kaiserin Etruscilla, der Frau des Decius (reg. 249–251 n. Chr.), getragen.

Bei der Kasseler Dame reicht der Scheitelzopf zwar weiter nach vorne als bei dem der Etruscilla zugeschriebenen rundplastischen Porträt (Felletti Maj 1953, Wegner – Bracker – Real 1979), seine Länge kann jedoch nicht als alleiniges Datierungskriterium herangezogen werden (Bergmann 1977, 90). Mit seiner flachen Form und seiner Gliederung in einzelne Flechten setzt sich der Scheitelzopf unseres Bildnisses deutlich von denen vieler gallienischer Frauenporträts ab, die zu einem dickeren Wulst gedreht, am Ende zu einer Schlaufe eingeschlagen und dem Kopf als fest abgegrenzte Masse aufgelegt sind (Bergmann 1977, 92; Bergmann 1983; Sande 1987). Der Kasseler Kopf ist aufgrund seiner Frisur folglich in die Jahre um 240–250 n. Chr. zu datieren. Auch sein weiches griffiges Inkarnat weist den Kopf noch in die Mitte des 3. Jhs. n. Chr. Bei Porträts gallienischer Zeit hingegen wäre es eher straff gespannt.

Das Bildnis lässt sich einigen weiteren Porträts der Jahrhundertmitte anschließen, die ältliche Frauen darstellen (Bergmann 1977, 93. 99 Taf. 26, 3–6; Sande 1987). Die Ausführung der Frisur und die Altersmerkmale in Form von Falten sind also wohl Bestandteile einer Bildformel. Die Wiedergabe realistischer Altersmerkmale bei Frauenbildnissen fällt jedoch weit weniger rigoros aus als bei vielen gleichzeitigen Männerporträts (Bergmann 1983, Fittschen – Zanker 1983).

Die Augenpartie des Kasseler Kopfes erinnert in ihrer Grundform an die eines der genannten Bildnisse älterer Frauen im Pergamonmuseum (Blümel 1933; Bergmann 1977, 93 Taf. 26, 3). Die ungelenke Ausführung von Oberlidern, Iris und Pupille sowie die grobe flüchtige Angabe der Augenbrauen stehen im Widerspruch zu der sonstigen, durchaus sorgfältigen Ausarbeitung des Gesichtes. Sie legen gemeinsam mit der Ausführung der Lippen die Vermutung nahe, dass der Kopf einer späteren Umarbeitung zum Opfer gefallen ist.

Das Strophium ist unter den Frauenbildnissen des 3. Jhs. n. Chr. bislang ohne Parallele. Die Steinmasse im Nacken, die keinem Bestandteil des Porträts zuzuordnen ist, könnte bei der Herstellung des Kopfes aus dem Steinblock oder einem älteren Werk stehengeblieben sein.

Publiziert:
Unpubliziert.


Literatur: Zum Porträt der Etruscilla: Felletti Maj 1953, Nr. 287; Bergmann 1977, 43 f.; M. Wegner – J. Bracker – W. Real, Gordianus III. bis Carinus (1979) 78 ff. – Zu weiblichen Privatporträts des mittleren 3. Jhs. n. Chr. und der gallienischen Zeit: Bergmann, 1977, 89 ff.; AK Frankfurt 1983, 41 (M. Bergmann) 394 f. Nr. 14. 15; Fittschen – Zanker 1983, Nr. 164. 165. 169 Taf. 192–194. 198; S. Sande, in: Ancient Portraits in the J. Paul Getty Museum 1 (1987) 137 ff. – Zum Porträt im Pergamonmuseum: Blümel 1933, R 111 Taf. 72.

(NZE)

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