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Porträt eines Mannes Bild1

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Porträt eines Mannes
Kopf, unterlebensgroß
Inv.-Nr. Sk 143

Um 240–250 n. Chr.

Weißer, feinkristalliner Marmor.

H 22,5 cm
H Kinn bis Scheitel 21 cm


Fundort: Aus Kleinasien (?)

Zugang: Erworben 1992 im Kunsthandel A. Weber, Köln.


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Erhaltungszustand/Restaurierung: Am Hals gebrochen, Bruch unregelmäßig, schräg nach vorne abfallend. Ohrmuschelränder abgebrochen. Nase beschädigt. Lippen, Augenbrauen und r. Stirnhälfte bestoßen. Abplatzungen auf l. Wange und im Haar über l. Schläfe. Oberfläche leicht verkratzt. Großflächig von hellbraunem Sinter bedeckt. Restaurierung 1993: gereinigt, Ergänzungen an Lippen und Ohren entfernt, Standdübel montiert. 2001 gereinigt.

Beschreibung: Der etwas unterlebensgroße Kopf neigt sich nach links. Er hat eine leicht blockhafte Grundform mit abrupt umbiegenden Seitenflächen. Der Schädel wölbt sich oberhalb der Ohren nach außen. Die Scheitellinie der hochgewölbten Kalotte steigt von der Stirn zum Oberkopf geringfügig an. Der zunächst gerundete Hinterkopf fällt zum Hals schräg ab. Der Gesichtsumriss nähert sich in der Vorderansicht einem Fünfeck. Die langgestreckte, beinahe gerade Wangenlinie läuft von der Höhe des Kiefers an mit einem scharfen Knick schräg abwärts zum rechteckigen, wenig vorspringenden Kinn. Die hohe, etwas fliehende Stirn zeigt zwei Querfurchen und senkt sich zu den Schläfen hin ein. Die schmalen vorkragenden Brauen scheinen sich über der Nasenwurzel leicht zusammenzuziehen. Sie verlaufen zunächst beinahe waagerecht und knicken dann nach außen ab. Die Brauen verschatten die tiefliegenden schmalen Augen, die von breiten dicken Lidern eingefasst sind. Kantige Ränder grenzen sie zum Augapfel ab. Grobe Rillen trennen die Oberlider von den knappen, beinahe verkümmerten Orbitalen, was besonders am rechten Auge deutlich zu sehen ist. Direkt unter den Oberlidern sitzen halbmondförmige Pupillenbohrungen, die schwach eingeritzte Iris berührt beinahe das Unterlid. Der Blick richtet sich etwas aufwärts nach links. Er verleiht dem Gesicht einen ernsten, nachdenklich-sorgenvollen Ausdruck.

Hautfalten trennen die Unterlider von schwach ausgebildeten Tränensäcken, deren linker besser zu erkennen ist, da die Partie nicht von Sinter bedeckt ist. Die Knochen der eher hageren Wangen treten deutlich hervor. Die Nasenflügel sind im Vergleich zum Nasenrücken unnatürlich schmal. Die tief eingeritzten Nasolabialfalten schwingen ungewöhnlich stark nach außen. Die Oberlippenpartie springt abrupt vor. Der verhältnismäßig breite Mund ist fest geschlossen. Nur eine feine Spalte trennt die leicht vorspringenden Lippen, die untere ist etwas voller als die obere. Die gewölbten Flächen des Inkarnats sind fein modelliert. Oberlippen-, Wangen- und Kinnbart sind sehr flach gehalten und ohne eigene Plastizität. Sie sind durch längere, dicht gesetzte Ritzlinien angegeben, die den Eindruck von Strähnen erwecken und jeweils in Streichrichtung parallel laufen. Die Ohren sind sehr klein. Die Ohrknöchel wirken merkwürdig verkümmert, die Ohrmuscheln flach.

Das kurzgeschorene Haar liegt dem Schädel eng an. Es geht von einem Wirbel am Hinterkopf aus und ist über die Kalotte nach vorn gestrichen. Der Haaransatz weicht stark zurück und es bilden sich ausgeprägte Geheimratsecken. Wie der Bart ist das Haar durch locker gesetzte, nicht allzu dichte, längere Ritzlinien wiedergegeben, die am Hinterkopf teilweise Kerben bilden. Die Haarkappe besitzt ebenfalls keinen plastischen Eigenwert, lediglich über der Stirnmitte und den Schläfen zeigt sich ein geringer Anflug von Plastizität. Das trotz seiner Altersmerkmale und seiner leicht angespannten Züge feine Gesicht strahlt Standfestigkeit und Entschlossenheit aus. Insgesamt handelt es sich um eine sorgfältige, qualitätvolle Arbeit.

Das Bildnis zeigt einen uns unbekannten reiferen Mann. Seine kurzgeschorene Haar- und Barttracht entspricht dem nüchternen, ernsten Darstellungsideal, das die Mode im 3. Jh. n. Chr. zur Zeit der Soldatenkaiser bestimmt. Das kurze Haar ist jedoch nicht per se oder ausschließlich eine ›Berufsfrisur‹ des Militärs (Bergmann 1984). Die Wiedergabe von Kopf- und Barthaar durch längere parallele und locker gesetzte Ritzlinien kennzeichnet auch Porträts des Philippus Minor, der von 247–249 n. Chr. gemeinsam mit seinem Vater Philippus Arabs (reg. 244–249 n. Chr.) regierte, sowie Bildnisse des von 249–251 n. Chr. herrschenden Kaisers Decius (Fittschen 1977, Fittschen – Zanker 1985). Gewisse Ähnlichkeiten mit dem Bildnis des Decius, das einen Fixpunkt der Stilgeschichte darstellt, zeigen sich auch in der Form des Schädels und der Anlage der Frisur. Die Proportionen des Kasseler Kopfes sind jedoch weniger gestreckt, sein Gesicht ist nicht so kleinteilig gegliedert und nicht so stark zerfurcht. Seine Gesichtszüge zeigen zwar durchaus ›realistische‹ Merkmale, sind aber von der expressiven Übersteigerung des Deciusporträts weit entfernt.

Darin lässt sich das Bildnis mit einer Reihe weiterer Privatporträts meist reiferer Männer des mittleren 3. Jhs. n. Chr. vergleichen. Ihre Haar- und Bartwiedergabe weist zwar klare typologische und stilistische Übereinstimmungen mit den Porträts des Philippus Minor und des Decius auf, ihre Gesichtszüge sind aber deutlich ruhiger und weniger expressiv als die des letztgenannten (Bergmann 1977, 17 Taf. 11, 1–3; Frel 1981; Fittschen – Zanker 1985; Johansen 1995; Scholl 1995; Kersauson 1996; Rhomiopoulou 1997). Ihre Gesichter haben einen annähernd fünfeckigen Umriss und ihr Stirnhaar zeigt leichte Ansätze von Plastizität.

Das Kasseler Männerbildnis wird folglich in den Jahren um 240–250 n. Chr. entstanden sein. Die einfache, nüchterne Frisur und Barttracht, die Altersmerkmale und die mehr oder minder angespannten Gesichtszüge in den Porträts der Zeit verweisen programmatisch auf die Tüchtigkeit (Virtus) und Leistung des Dargestellten. Sie veranschaulichen Werte wie Disziplin, Entschlossenheit, Pflichterfüllung und Durchsetzungskraft (Bergmann 1984, Fittschen – Zanker 1985, Mlasowsky 1992). Damit knüpfen die Bildnisse des 3. Jhs. inhaltlich an alte römische Traditionen an.

Die u-förmige Pupillenbohrung ist jedoch ein Merkmal von Porträts aus der Zeit der Tetrarchie (Sydow 1969, 11; Bergmann 1977, 138 ff.). Sie spricht für eine tetrarchische Überarbeitung des Bildnisses, die wohl auch für die Formgebung der Augenlider, der Orbitale, der Nasenflügel und der Ohren verantwortlich ist. Einige enge Parallelen des Porträts sind kleinasiatischen Ursprungs (Inan – Rosenbaum 1966; Bergmann 1977, 78 f.; Inan – Alföldi-Rosenbaum 1979; Frel 1981). Sie legen zusammen mit Hinweisen auf die Herkunft des Stückes die Vermutung nahe, dass auch das Kasseler Bildnis aus einer kleinasiatischen Werkstatt stammt.

Publiziert:
Unpubliziert.


Literatur: Zur Datierung und stilistischen Einordnung: Inan – Rosenbaum 1966, Nr. 252 Taf. 139, 1–2; Bergmann 1977, 5 ff. 44 ff. 78 f.; K. Fittschen, RM 70, 1977, 140 ff.; Inan – Alföldi-Rosenbaum 1979, Nr. 301 Taf. 213, 1; M. Wegner – J. Bracker – W. Real, Von Gordianus III. bis Carinus (1979) 42 ff. 63 ff. 83 ff.; J. Frel, Roman Portraits in the Getty Museum (1981) Nr. 87; AK Frankfurt 1983, 41 ff. (M. Bergmann); Fittschen – Zanker 1985, Nr. 110 Taf.136. 137; A. Mlasowsky, Herrscher und Mensch, AK Hannover (1992) Nr. 23; Johansen 1995b, Nr. 57; A. Scholl, Die antiken Skulpturen in Farnborough Hall (1995) F 21; Kersauson 1996, Nr. 217; K. Rhomiopoulou, Ελληνορωμαϊκά Γλυπτά του Εθνικού Αρχαιολογικού Μουσείου (1997) Nr. 61. – Zu tetrarchischen Porträts: W. v. Sydow, Zur Kunstgeschichte des spätantiken Porträts im 4. Jh. n. Chr. (1969) 5 ff.; Bergmann 1977, 138 ff.

(NZE)

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