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Satyr mit dem Schweinsfell Bild1

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Satyr mit dem Schweinsfell
Kopf
Inv.-Nr. Sk 89

Römische Kopie, um 150–170 n. Chr. nach hellenistischem Vorbild um 100 v. Chr.

Weißer, mittelkristalliner Marmor, teils grau verfärbt

H insgesamt 21 cm
H Kinn bis Haaransatz 14 cm
B an Schläfen 10 cm
Distanz äußere Augenwinkel 6,5 cm



Zugang: Erworben 1777 durch Landgraf Friedrich II. in Rom


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Erhaltungszustand/Restaurierung: Unergänzt. Verloren: Nasenspitze. Frisur und Kranz stark korrodiert und bestoßen; im Gesicht bestoßen: r. Braue und Wange, Nasenrücken, r. Kiefer und Halsflanke. Risse, partiell verfärbt und bröselig (Locken- und Kranzspitzen, Ohrmuscheln) durch Brandhitze. Vor 1777 Oberfläche geputzt (Gesicht speckig durch Säurereinigung?), Schnitte (Hals, Nasenflügel) und Abarbeitungen für Ergänzungen und Montage mit Torso Kat. 50. Restaurierung 1912/13: (Bieber 1915). Im 2. Weltkrieg brandgeschädigt. Restaurierung: 1973/75: Defekte Gipsergänzungen entfernt, gereinigt, gefestigt, Standdübel montiert.

Beschreibung: Der Kopf mit schmalem Halsansatz stammt vermutlich von einer Statuenreplik des Figurentypus Satyr mit dem Schweinsfell (zuletzt Zimmermann 1994). Der Satyrknabe hat seinen Kopf zur linken Seite gedreht und vorgeneigt. Das pausbäckige, leicht lächelnde Gesicht mit hoher rechteckiger Stirn wird von dichtem kurzlockigem Haar umrahmt. Den Ober- und Hinterkopf bedecken etwas längere und voluminösere Sichellocken, die seitlich auch die Spitzohren umspielen, teils bedecken. In der plastischen Haarmasse trägt der Satyr einen großen Pinienkranz, dessen Nadelbüschel und Zapfen nahezu freiplastisch von dem Wuschelkopf abstehen. Die Zweige des Kranzes sind oben über der Stirn mit einem Heraklesknoten und im Nacken mit einem dickeren Knoten zusammengebunden.

Die Augen mit geritzter Karunkel stehen leicht schräg und weit auseinander. Schwach eingekerbte mandelförmige Pupillen direkt unter dem Oberlid und die schweren Lider verleihen dem kindlichen Gesicht mit steiler hoher Stirn, hochgewölbten Wangen und breitflügeliger Nase einen träumerischen und schelmischen Ausdruck. Beim Lächeln ist der Mund spaltbreit geöffnet, die obere Zahnreihe wird sichtbar. Das satyreske Wesen des Kopfes ist im Gesicht zunächst nur an den graduell überspitzten physiognomischen Details in ihrer Tendenz zum Derben erkennbar, wird aber durch den Pinienkranz und die Spitzohren im Wuschelhaar manifest. Das kindliche lächelnde Knabenantlitz ist subtil vermischt mit den animalischen Zügen der Satyrnatur. Die Frisur mit plastisch aufgeworfenen und reliefhaft anliegenden Haarbüscheln wirkt struppig wild; die scheinbare Unordnung wird gleichwohl durch klar gegliederte, verzahnte und einander überlagernde Sichellocken erzeugt. Mit der wild anmutenden Haartracht des Satyrknaben bildet der Pinienkranz eine kompositorische und auch thematische Einheit, denn die immergrüne Pinie ist mythologisch und ikonographisch mit Pan und Satyrn des dionysischen Thiasos verbunden.

Die Asymmetrien des Kopfes – schräg stehende Augen, rechte Wange stärker gewölbt, linke Stirnecke höher gezogen, Pinienkranz axial zur linken Seite verschoben – dienen dem perspektivischen Ausgleich des gedrehten und geneigten Kopfes auf der Statue. Die Haarmasse trennen tiefe Punktbohrungen und sichelförmige Bohrgänge mit Stegresten zwischen den Locken. Im Pinienkranz wechseln kräftig unterschnittene Nadelbüschel und pinselartig geritzte Zapfen mit trennenden Bohrrillen und Bohrstegen ab. Der Hinterkopf ist etwas summarischer ausgeführt. Die Bohrarbeit in voluminöser, weicher Plastizität datiert unseren Kopf in Verbindung mit der Gesichtspolitur und Augenbohrung in mittelantoninische Zeit (vgl. Kat. 2.4 bis 2.6., 4.15).

Der Figurentypus Satyr mit dem Schweinsfell ist in 36 antiken Repliken (fünf Statuen, 24 Torsen, sechs Köpfe) und weiteren Varianten sowie Umbildungen in Rundplastik und Relief überliefert (zuletzt Zimmermann 1994). Das etwa 120 cm große Vorbild ist anhand der am besten erhaltenen Kopie in Chania, gefunden in den römischen Thermen von Kastelli Kisamou, und den kopienkritisch von Zimmermann vorbildlich untersuchten und interpretierten Repliken vorzustellen. Der annähernd frontal stehende Satyrknabe hat das linke Bein locker über das rechte geschlagen und stützt sich mit dem linken Ellenbogen seitlich auf einen neben ihm stehenden Baumstamm. Er hält mit beiden Händen vor der Brust eine Flöte, auf die er blickt. Motivisch greift er den frühhellenistischen Figurentypus des Satyrknaben mit der Querflöte auf, den er allerdings durch einige kompositorische und besonders durch einige inhaltliche Veränderungen zu einem eigenen Figurentypus verwandelt. Zu den motivischen Neuerungen gehört neben der Kopfphysiognomie besonders die ›Bekleidung‹ des Rumpfes mit einem eng anliegenden Schweinsfell, das um die rechte Körperflanke gelegt und auf der linken Schulter verknotet ist. Die Körperflanke an der Baumstammseite bleibt entblößt. Das schärpenartig drapierte Fell ist um das Pubes freie Geschlecht und auf die Ansätze der prall gerundeten Glutäen rahmenähnlich gelegt. Die inszenierte Entblößung des kindlichen Geschlechtes und der Hinterbacken sind unübersehbar erotisch und päderastisch motiviert. Die Reize und Kontraste von knabenhaftem Alter und triebhafter Natur sind in das Satyrwesen transponiert. Die zweideutigen Anspielungen schließen auch den motivischen Gegensatz von borstigem Schweinsfell und glatter Haut des Knaben ein. Die Deutung der statuarischen Motivik fügt sich zur Physiognomie des Kopfes.

Die von M. Bieber (1915) geäußerte Vermutung, unseren Satyrkopf im Vergleich zu den ähnlichen Satyroi mit Querflöte, Pedum und Fruchtschurz für eine hellenistische Schöpfung zu halten, hat sich nach erfolgreicher Zuordnung zu dem statuarischen Figurentypus in der Forschung bestätigt. Die Komposition des sich seitlich aufstützenden Satyrs mit übergeschlagenen Beinen und vor sich gehaltener Flöte ist mit ihrem geschlossenen Umriss in die Fläche gebreitet und durch divergierende und korrespondierende Bewegungen und Schrägachsen in sich gegensätzlich aufgebaut. Die bewegte Haltung der Figur und das Stützmotiv erzeugen keine räumliche Tiefenausdehnung. Die Komposition beschränkt sich auf die zwei Bildebenen Vorderseite und Rückseite, in welchen sich die erotischen und satyresken Komponenten dem voyeuristischen Betrachter erschließen. Diese kompositorischen wie motivischen Elemente datieren den Satyr mit dem Schweinsfell in die Periode späthellenistischer Neuschöpfungen gegen Ende des 2. und zu Beginn des 1. Jhs. v. Chr. (Bol 1989, Zimmermann 1994).

Publiziert:
Bieber 1915, Nr. 33 Taf. 27. – Im Museum Fridericianum 1777–1912 und im Musée Napoléon 1807–1815: s. hier Kat. 2.11.


Literatur: Zum Figurentypus Satyr mit Schweinsfell: Lippold 1950, 311 Anm. 2; H. Riemann, Kerameikos II (1940) 109 f. Nr. 160 Replikenliste; Lippold 1956, 110 zu Nr. 11; E. Paribeni, Catalogo delle sculture di Cirene (1959) Nr. 334 erwähnt; K. Davaras, ADelt. 22, 1967, 498 Taf. 370, 2–3 Replik in Chania; P. C. Bol, Liebieghaus I (1983) Nr. 57; P. C. Bol in: Villa Albani 1989, Nr. 22; R. M. Schneider in: Villa Albani 1990, Nr. 237 Anm. 5 Satyr mit Fruchtschurz; R. M. Schneider, Hellenistische Satyrn (Habil. Heidelberg Ms. 1991) 458 ff.; Andreae 1995, Nr. 17 Taf. 1032; A. Zimmermann, Kopienkritische Untersuchungen zum Satyrn mit der Querflöte und verwandten Statuentypen (Diss. Bern 1994 Ms.) 38 ff. 70 ff. Vorbild Anfang 1. Jh. v. Chr. 76 ff. inhaltliche Bedeutung. 82 ff. Wirkungsgeschichte. 98 ff. Replikenunterschiede. 165 ff. Replikenliste Nr. 34 (hier Kat. 1.36) mittelantoninisch Taf. 600–614; Villa Albani 1998, Nr. 717. Nr. 936 modern (P. C. Bol). – Vgl.: C. Landwehr in: B. Andreae (Hrsg.), Phyromachos-Probleme (1990) 103 Anm. 11.

(PG)

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