Mädchen, aus Lissos Statuettentorso. Votiv Inv.-Nr. ALg 210
Späthellenistisch, Ende 2. Jh. v. Chr.
Weißer, mittelkristalliner Marmor, bräunlich patiniert
H 60,5 cm Fundort: Lissos auf Kreta, dem Asklepios-Heiligtum zugeschrieben
Zugang: Leihgabe der Sammlung Peter und Irene Ludwig, Aachen, seit 1977 (Erworben im Kunsthandel Arete Zürich 1977) |
Erhaltungszustand/Restaurierung: Unergänzt auf ovaler, dünner, hinten begradigter Plinthe. Verloren sind die antik angestückten Fußspitzen und das Gewand mit Plinthenteilen; weggebrochen sind der Kopf mit Hals, der r. Arm ab Schulter (im weiteren Verlauf antik angestückt?), der l. Arm ab Oberarmmitte und geraffter Gewandzipfel. Bestoßungen an dem Gewand und der Plinthe, kleine Abschürfungen. Oberfläche vorn geglättet, Plinthenunterseite unregelmäßig gepickt. Restaurierung 1977: gereinigt, partiell entsintert, mit Standdübel gesockelt.
Beschreibung: Siehe auch Kat. 1.31.
Der gegürtete lange Chiton mit Überschlag betont den hohen schlanken Wuchs des frontal stehenden Mädchens. Sie rafft mit der linken Hand außen am Standbein eine Gewandpartie leicht empor; der verlorene gesenkte Arm reichte neben dem Körper etwa bis zum Überschlagsaum. Mit dem rechten frei zur Seite abgestreckten Arm wird sie ein Attribut emporgehalten haben, dem der Kopfwendung zufolge ihre Aufmerksamkeit vermutlich galt. Das Spielbein mit etwas zur Seite und nach hinten gesetztem Fuß und das linke Standbein zeichnen sich durch das vertikal und bogig gefaltete bodenlange Gewand ab. Den Unterkörper umschließt der konische Überschlag. Der Oberkörper über der Gürtung ist glatt ohne anatomische Inskriptionen oder Gewandangabe modelliert; vielleicht waren sie durch Bemalung angegeben. Die vertikale Figurenmitte hebt ein Faltensteg hervor, der von der Gürtung bis zum Überschlagrand sich entwickelnd dann zwischen den Beinen als breite vorstehende Faltenbahn bis zum vorderen Plinthenrand herabfällt. Das Ponderationsmotiv der ausgeprägten Stand- und Spielbeinstellung nimmt der steil aufgerichtete Körper nicht auf.
Plastisch ausgearbeitet sind die Körperformen und das Gewand unterhalb der Gürtung nur auf der Vorder- und Spielbeinseite. Dem glatten sanft gerundeten Oberteil folgt der ziemlich gleichmäßig modellierte, gereihte Faltenduktus des horizontal abschließenden Überschlags; die größte plastische Differenzierung mit Steilfalten, Zugfalten und kleinen Bogenfalten, zum Teil durch tiefere Rinnen getrennt, wird im Bereich der Beine erreicht. Die Rückseite und die linke Nebenseite mit dem gerafften Chiton verzichten weitgehend auf eine detaillierte Modellierung und beschränken sich auf die strukturelle Anlage des dreistufigen Figurenaufbaus.
Der die Schlankheit betonende, sich gleichmäßig nach oben verjüngende Figurenaufbau und die steife trotz Schrittstand ponderationsfreie Körperhaltung sind Indizien für eine späthellenistische Datierung des Mädchens in das ausgehende 2. Jh. v. Chr. (Vorster 1983, Gercke 1990/94). Auch der gleichförmige Faltenverlauf in Verbindung mit kräftiger Verschattung durch Faltentäler deutet in diese Zeit, ebenso die zu vermutende motivische Entfaltung in einer Bildebene mit dem Gestus des Gewandraffens auf der Standbeinseite, mit der Armführung und der ein Attribut (?) haltenden Hand auf der Spielbeinseite sowie dem in diese Richtung gewendeten Kopf. Charakteristisch auch für dieses Mädchen sind der Habitus einer Erwachsenen in einem Festkleid und die gezierte Pose des Gewandraffens, während das Kind zugleich vermutlich sein Spielzeug vorzeigt.
Publiziert:
P. Gercke, AA 1983, 532 Nr. 75 Abb. 111; C. Vorster, Griechische Kinderstatuen (1983) 337 f. Nr. 18 Taf. 15, 2 Ende 2. Jh. v. Chr.; Slg. Ludwig 1990, Nr. 242 (P. Gercke).
Literatur: Zum FO Asklepios-Heiligtum Lissos: G. Daux, BCH 83, 1959, 751 ff.; Y. Papaoikonomou, BCH 106, 1982, 419 ff. attischer Einfluss auf Votive, 3. Jh. v. Chr.; A. Hermary, BCH 107, 1983, 293 ff.; H. und M. van Effenterre, BCH 109, 1985, 155 ff.; Lauffer 1989, 397 s. v. Lissos, Hafenstadt von Hyrtakina (R. Scheer). – Zu den Statuetten: s. Kat. 1.31 bis 1.34.
(PG)
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