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Faustina Maior Bild2

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Faustina Maior
Kopf, überlebensgroß
Inv.-Nr. Sk 38

Frühantoninisch, 141–161 n. Chr.

Weißer, feinkristalliner Marmor mit dunklen Adern und Einsprengseln.

H 38 cm
H ohne Ergänzungen 29 cm
H Kinn bis Haaransatz 16,5 cm



Zugang: Erworben 1750 durch Rat Arckenholtz für Landgraf Wilhelm VIII. auf der Auktion in Den Haag, Slg. Wassenaer-Obdam.


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Erhaltungszustand/Restaurierung: Oberer Teil des Zopfnestes, Nase und unterer Teil des Halses samt Schleier ergänzt. Teil des Schleiers r. vorne wiederangefügt. Schleierrand bestoßen. Reste oberflächlicher Verletzungen am Kinn. Kopf insgesamt neuzeitlich stark überarbeitet, besonders im Bereich der Augenpartie. Dabei Oberlider beschnitten, Augen mit Iris nachgezogen, Pupillen nachgebohrt. Unterhalb des Doppelkinnansatzes breite Kante mit scharfem Einschnitt von Abarbeitung. Kante des Schleiertuchs durch eine gebohrte Rille neuzeitlich begradigt. Restaurierung 1985/86: gereinigt, mit Standdübel gesockelt.

Beschreibung: Der Kopf hat einen ovalen Umriss. Die Asymmetrien im Gesicht zeigen, dass er sich ursprünglich leicht nach rechts wandte. Die unausgewogenen Proportionen des schmalen gestreckten Halses sind auf die neuzeitliche Überarbeitung zurückzuführen. Ein glatter Haarrand fasst die niedrige Stirn ein. Die Brauenbögen fallen stark nach außen hin ab. Durch die Beschneidung der ursprünglich breiteren, herabgezogenen Oberlider sind die Augen nun weit geöffnet. Die nachgebohrten Pupillen verleihen ihnen einen starren Blick und laufen der ursprünglichen Kopfwendung nach rechts zuwider. Der Sattel der Nase ist nur leicht eingesenkt. Sanft eingetiefte Nasolabialfalten leiten zu dem kleinen Mund über. Die fein geschwungene Oberlippe tritt vor die vollere Unterlippe. Die vollen Wangen gehen in ein rundes molliges Kinn über, das einen deutlichen Ansatz zum Doppelkinn zeigt.

Das Haar ist in der Mitte gescheitelt und teilt sich über der Stirn horizontal in zwei Zonen. Die Scheitelung der oberen Zone ist Teil der neuzeitlichen Überarbeitung, denn sie unterbricht den durchgehenden Verlauf der Haarwellen. Anders als in der unteren Zone ist sie eingeritzt statt ausmodelliert. Das Stirnhaar ist in Wellen zur Seite geführt, die vor den Ohren schlaufenartig herabhängen. Die Ohren selbst bleiben frei. Das Haar war ursprünglich in fein gerillte Strähnen gegliedert, von denen infolge der Überarbeitung besonders auf der linken Kopfseite nur Grate zwischen den Rillen geblieben sind.

Der Hinterkopf ist von einem Schleier bedeckt, der sich in Falten legt. Er lässt das rechte Ohr frei und verdeckt das linke etwas. Der Hinterkopf lädt weit aus, was auf das Volumen der Frisur unter dem Schleiertuch zurückzuführen ist. Auf dem Oberkopf schaut ein Nest aus geflochtenen Zöpfen hervor, die spiralartig übereinandergelegt sind. Die deckelartige Ergänzung der obersten Schicht ist dementsprechend asymmetrisch angelegt. Die Oberfläche des Gesichtes ist leicht aufgeraut, die der Haare etwas stärker.

Verschiedentlich wurden Zweifel an der Echtheit bzw. an der antiken Entstehung des Kopfes geäußert (Boosen 1985/91, Bieber 1915, Hallo 1926, Wegner 1939). Sie sind vermutlich durch die starke neuzeitliche Überarbeitung ausgelöst worden, die das im Kern antike Bildnis arg in Mitleidenschaft gezogen und besonders die Augen in befremdlicher Weise verändert hat.

Der Aufbau der Frisur, die Bildung der Mund- und Kinnpartie sowie der Gesichtsumriss sprechen dafür, dass der Kopf Faustina Maior wiedergibt (105–141 n. Chr.). Sie war die Gattin des Kaisers Antoninus Pius (reg. 138–161 n. Chr.), Mutter der Faustina Minor, Tante und Schwiegermutter des späteren Kaisers Marc Aurel (reg. 161–180 n. Chr.). Die für Bildnisse der älteren Faustina typische Wiedergabe der schmalen Augen mit weit herabhängenden Oberlidern und unmittelbar darunter gesetzter Augenbohrung ist bei dem Kasseler Kopf leider durch die neuzeitliche Überarbeitung verdorben. Der für die Kaiserin charakteristische schläfrige Blick ist damit verlorengegangen.

Die Gestaltung des Stirnhaares erlaubt eine Zuweisung des Bildnisses an den weit verbreiteten ›Schlichten Typus‹ des Faustina-Porträts (Wegner 1939, Fittschen – Zanker 1983). Wahrscheinlich ist er gemeinsam mit ihren beiden anderen Porträttypen, die kompliziertere Varianten der Frisur aufweisen, bald nach dem Regierungsantritt des Antoninus Pius 138 n. Chr. entstanden. Der Typus wurde noch über den frühen Tod der Faustina Maior 141 n. Chr. hinaus während der gesamten Regierungszeit ihres Mannes kopiert und verbreitet (Wegner 1939, Fittschen 1977, Fittschen – Zanker 1983).

Mit einem Schleier über dem Hinterkopf erscheint Faustina Maior auch auf Münzen, die nach ihrem Tod und ihrer Konsekrierung 141 n. Chr. geprägt wurden (Bieber 1915, Wegner 1939). Folglich ist der Kasseler Kopf wohl ein postumes Bildnis der vergöttlichten Kaiserin (Bieber 1915, Boosen 1985/91), das zwischen 141 und 161 n. Chr. entstanden ist.

Auch erhaltene Porträtstatuen zeigen Faustina Maior mit verschleiertem Hinterhaupt (Frel 1981; Fittschen – Zanker 1983, Nr. 90; Boosen 1985/91). Die Statuen folgen dem Typus der ›Großen Herkulanerin‹, der auf eine Schöpfung des 4. Jhs. v. Chr. zurückgeht. Er ist gerade in antoninischer Zeit als Träger von Bildnissen sehr beliebt (Fittschen – Zanker 1983, Nr. 90). Möglicherweise war auch unser Kopf in eine derartige Statue eingesetzt.

Während der napoleonischen Zeit wurde die Kasseler Faustina beim Anbau des Ständesaals an das Museum Fridericianum im Jahre 1808 durch Vandalismus beschädigt. Wahrscheinlich wurden die Ergänzungen und die Überarbeitung infolge dieses Ereignisses vorgenommen (Bieber 1915, S. VI; Boosen 1985/91). Um Ergänzungen und antiken Bestand in der Oberfläche aneinander anzugleichen, vor allem aber um die Zerstörungen unsichtbar zu machen, wurde offenbar so viel Marmor abgetragen, dass von der antiken Oberfläche nichts mehr übrig blieb. Derart radikale und unsachgemäße Maßnahmen wurden bereits von den Restauratoren des späteren 18. Jhs. abgelehnt (Müller-Kaspar 1988, 98 ff.).

Vielleicht blieb bei der Kasseler Faustina nach 1808 aber nichts anderes übrig, um sie nach zeitgenössischem Empfinden wieder in einen präsentablen Zustand zu versetzen (Müller-Kaspar 1988, 49 ff. 78). Dabei nahm man wohl auch die unsensible Herrichtung der Augenpartie in Kauf, die den Verlust eines wesentlichen physiognomischen Merkmals der Faustina Maior und des charakteristischen Ausdrucks ihres Porträts zur Folge hatte. Daher muß der Kopf für die moderne archäologische Porträtforschung als wertlos gelten. Er ist jedoch ein eindringliches Zeitdokument für das nachantike Schicksal antiker Bildnisse.

Publiziert:
Wassenaer Auktion 1750, Nr. 304; Bieber 1915, Nr. 54; R. Hallo, Repertorium für Kunstwissenschaft 47, 1926, 278 Abb. 9.


Literatur: Boosen 1985/91, Nr. 48. – Zu Bildnissen der Faustina Maior: M. Wegner, Die Herrscherbildnisse in antoninischer Zeit (1939) 26 ff. 153 ff., 157; Fittschen 1977, 80 ff. Nr. 30; Fittschen – Zanker 1983, 13 ff. Nr. 13–18 Taf. 15–23. – Zu Porträtstatuen der Faustina Maior im Typus Große Herkulanerin: J. Frel, Roman Portraits in the Getty Museum (1981) Nr. 52; Fittschen – Zanker 1983, Nr. 90 Taf. 111. – Zu neuzeitlichen Ergänzungen und Überarbeitungen: Müller-Kaspar 1988, 45 ff. 62 f. 75 ff. 98 ff.

(NZE)

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