Gaius Caesar Einsatzkopf, überlebensgroß Inv.-Nr. Sk 131
Spätaugusteisch-frühtiberisch, 6 v. Chr. – 20 n. Chr.
Weißer, feinkörniger Marmor.
H 40,5 cm Fundort: Angeblich aus Italien
Zugang: Erworben 1981 im Kunsthandel M. Yeganeh, Frankfurt am Main |
Erhaltungszustand/Restaurierung: An der Halsgrube ausgebrochen; Nase und r. Ohr abgebrochen; r. Wange zwischen Auge und Nase bestoßen, ebenso l. Ohr. Locken über der Stirn ausgebrochen, über der l. Schläfe bestoßen. In der Lippenspalte, an den Lidrändern und im l. Ohr rote Farbspuren. Haar von rotbrauner Schicht in sinterartiger Konsistenz bedeckt (Analyse 1985: Roter Ocker, Pflanzenschwarz und proteinhaltiges Bindemittel), punktuelle Spuren auch auf der Haut. Auf r. Gesichtshälfte ockerfarbene Streifen. Restaurierung 1977/78: gereinigt, bis auf die RS von Sinter befreit, mit Standdübel gesockelt. Moderne Ergänzungen entfernt, die an Nase, r. Ohr, r. Wange und im Haar in Kunstharz-Stuck auf unversinterten Brüchen ausgeführt waren.
Beschreibung: Der überlebensgroße Einsatzkopf eines jungen Mannes ohne Bart wendet sich leicht nach rechts. Auf seinem langen Hals sind zwei schwache Querfalten oberflächlich eingeritzt. Der ovale Kopf läuft zum kleinen Kinn etwas spitz zu und verbreitert sich deutlich zu den Schläfen hin. Der Oberkopf wölbt sich nur leicht. Das linke Ohr ist ein wenig nach vorne geklappt, seine Rückseite ist in Bosse belassen. Die kantigen Brauenbögen verlaufen von der Nasenwurzel her zunächst horizontal. Die großen, etwas asymmetrisch gebildeten Augen stehen weit auseinander. Sie sind von schmalen bandartigen Lidern eingefasst, deren oberes jeweils das untere im äußeren Augenwinkel überschneidet. Eine tiefe, präzise mit dem Meißel gezogene Rille trennt das Oberlid vom Orbital. Die schmalen Lippen des relativ kleinen Mundes sind fein geschwungen. Insgesamt zeigt das breite Gesicht großflächige Einzelformen und ein weiches Inkarnat, das besonders im Mund-Kinn-Bereich etwas füllig ist. Die Oberfläche ist vor allem in der oberen Gesichtshälfte glatt modelliert. Die Gesichtszüge wirken ruhig und ebenmäßig. Flache Kerben unterteilen die sichelförmigen Locken der dicht geschlossenen Haarmasse in einzelne Strähnen. Über der linken Schläfe laufen kurze Locken nach hinten. Eine Gabel außen über dem linken Auge trennt sie vom Stirnhaar. Dort sind trotz der starken Zerstörung noch die Spitzen zweier offenbar breiter, nach rechts geschwungener Locken erhalten. Ausbruchsspuren zeigen, dass noch eine dritte folgte. Sie war Teil einer breiten Zange, deren oberer Ansatz noch deutlich zu sehen ist und die sich bereits in der rechten Stirnhälfte befindet. Dort ist kurz vor dem Schläfenhaar die Spitze einer nach links geschwungenen Locke zu erkennen, Ausbruchsspuren deuten auf eine ursprünglich vorhandene weitere hin. Auf der rechten Stirnseite befanden sich also ebenfalls drei Locken, die aber etwas schmaler waren als auf der linken Seite. Oberhalb der Zange ist das Haar deutlich plastischer, ansonsten liegt es flach am Kopf an. Die Locken sind durch flache Furchen voneinander getrennt und wirken wie nebeneinander gelegt.
Knapp hinter den Ohren schließt der Kopf mit einer senkrechten Fläche ab, die nach links verschoben ist. Sie ist nur roh bearbeitet. Oben auf der rechten Kopfhälfte befindet sich eine grob gepickte, schräge Anstückungsfläche. Auf der rechten Halsseite führt der Brustrand höher hinauf. Ihm folgt eine schmale, sich nach unten verbreiternde Ansatzfläche, die in regelmäßigen Abständen Rillen aus waagerecht gesetzten Meißelschlägen aufweist. Die technische Zurichtung spricht dafür, dass der Kopf zum Einsetzen in eine Togastatue mit verhülltem Hinterhaupt (capite velato) bestimmt war. Die Asymmetrien der Ansatzflächen entsprechen der Kopfwendung nach rechts.
In dem Schema der Stirnlocken, das trotz der Zerstörungen mit einiger Sicherheit zu erschließen ist, aber auch in der Kopf- und Gesichtsform sowie den physiognomischen Merkmalen entspricht das Bildnis dem Porträt eines julisch-claudischen Prinzen, das in drei Replikenreihen überliefert ist (Fittschen 1977). Aufgrund der Gliederung des Stirnhaares in je drei Locken zu beiden Seiten einer weit geöffneten Zange in der rechten Stirnhälfte schließt sich der Kasseler Kopf den Repliken 1–5 der Reihe I nach Fittschen an. Die Lockengabel über dem linken Auge findet sich dort ebenso wieder wie die jugendlich-füllige Gesichtsform, die Größe der Augen und die Ausbildung der Mund-Kinn-Partie. Besonders gut vergleichbar sind die Beispiele I 4 und I 1, letzteres ebenfalls mit verhülltem Hinterhaupt.
Die Identifizierung der dargestellten Person ist heftig umstritten (ältere Lit. bei Fittschen – Zanker 1985). Die großen Ähnlichkeiten mit dem Porträt des Kaisers Augustus in Frisur und Physiognomie sowie Vergleiche mit Münzbildern führten verschiedentlich zu einer Benennung als Octavian (zuletzt Grimm 1989, Massner 1982, Frenz 1982). Das Schema der Stirnlocken zeigt zwar Anklänge an den Actium-Typus, mit dem die fraglichen Münzbilder zu verbinden sind und der in den 30er Jahren des 1. Jhs. v. Chr. entstanden ist. Die klarere, strengere Ordnung der Frisur insgesamt setzt jedoch den Prima Porta-Typus voraus, der um 27 v. Chr. entwickelt wurde. Auch die Kopfform und die Einzelformen des Gesichtes sind von diesem Typus abhängig. Daher ist eine Identifizierung als Octavian und damit als ›Jugendbildnis‹ des Kaisers unwahrscheinlich (Zanker 1978, Fittschen – Zanker 1985, Pollini 1987). Das überlebensgroße Format ist allein ebenfalls kein hinreichender Grund für eine Zuweisung an den Kaiser selbst.
Der Aufstellungskontext der Replik Korinth 135 (Fittschen 1977) zusammen mit einer Augustusstatue und der eines weiteren Prinzen zeigt dagegen, dass es sich um das Porträt eines der beiden Augustusenkel, Gaius Caesar (20 v.– 4 n. Chr.) oder Lucius Caesar (17 v.– 2 n. Chr.), handeln muß. Ihre Bildnisse sind zwar nicht mit letzter Sicherheit zu unterscheiden. Die zeitlich aufeinander folgenden Replikenreihen I–III bilden jedoch eine längere Typenkette, in der auch bärtige Versionen auftreten. Sie ist daher eher mit dem älteren und letztverstorbenen der beiden Prinzen zu verbinden. Die Identifizierung als Gaius Caesar ist folglich die wahrscheinlichere (Fittschen 1977, Zanker 1978, Fittschen – Zanker 1985, Pollini 1987, Goette 1993).
Die Replikenreihe I, der auch der Kasseler Kopf angehört, geht demnach auf den frühesten Porträttyp des Gaius zurück. Er könnte um 6 v. Chr. anlässlich seiner Erhebung zum princeps iuventutis entstanden sein oder um 5 v. Chr., als ihm die Männertoga verliehen wurde. Die Gesichtszüge der Repliken entsprechen durchaus unterschiedlichen Altersstufen. Darin spiegelt sich vermutlich eine ›Aktualisierung‹ des Bildnistypus. Eine Aufgliederung der Replikenreihe in einzelne Typen (Pollini 1987) ist dagegen wegen der starken Übereinstimmungen in Frisur und Gesichtsformen nicht gerechtfertigt (Goette 1993).
Die Replik Kassel Sk 131 ist wahrscheinlich in spätaugusteisch-frühtiberischer Zeit hergestellt worden. Dafür sprechen die insgesamt harte flache Wiedergabe der Locken, die glatte Modellierung des Gesichtes sowie die kantigen Brauenbögen und Augenlider. Augustus versuchte, seine beiden Enkel bis zu ihrem frühen Tod systematisch als seine Nachfolger aufzubauen. Daher sind ihre Bildnisse im Rahmen einer dynastischen Sukzessionspropaganda bewußt an seine Porträts angeglichen worden (Zanker 1978, Massner 1982), um der Nachfolgeregelung größere Legitimität zu verleihen. Die Auctoritas (Ansehen, Autorität) des Großvaters sollte auf die beiden Prinzen übergehen, der Betrachter sollte mit ihnen fortwährenden Frieden und Wohlstand verbinden. Daraus resultieren jedoch auch die großen Identifizierungsschwierigkeiten, die der Forschung durch die starke Ähnlichkeit der Bildnistypen entstehen.
Publiziert:
P. Gercke, AA 1983, 532 ff. Nr. 76 Abb. 112. 113.
Literatur: Zum Bildnistypus und seiner Datierung: Fittschen 1977, 34 ff.; P. Zanker, Studien zu den Augustusporträts I. Der Actium-Typus, 2. Auflage (1978) 47 ff. 55; W. H. Gross, in: R. A. Stucky – I. Jucker (Hrsg.), Eikones. Studien zum griechischen und römischen Bildnis. FS H. Jucker (1980) 126 ff.; A.-K. Massner, Bildnisangleichung (1982) 10 ff. 53 ff.; H. Frenz, AKorrBl 12, 1982, 373 ff.; Fittschen – Zanker 1985, 21 ff. Nr. 20; J. Pollini, The Portraiture of Gaius and Lucius Caesar (1987); G. Grimm, RM 96, 1989, 357 ff. – Zu Pollinis Typeneinteilung kritisch: M. D. Fullerton, AJA 92, 1988, 616; D. Boschung, JRA 6, 1993, 52 Anm. 72; H. R. Goette, JRA 6, 1993, 303 ff., 308 Nr. 1 a. – Zur Datierung: Zanker a. O. 24 f. Nr. 14 Taf. 19 b; 20.
(NZE)
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