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Aschenurne Bild1

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Aschenurne
Sk 56 (Kasten). Inv. F 369 (Deckel)
Inv.-Nr. Sk 56/F 369

Flavisch, 70–100 n. Chr.

Weißer, mittelkristalliner Marmor mit dunklen Adern; Deckel: Marmor etwas gröber und dunkler als der des Kastens.

Kasten: H 21,5 cm
B 38,5 cm
T 28,5 cm
Deckel: H 6,5 cm
B 26,5 cm
T 38,5 cm



Zugang: Erworben 1750 durch Rat Arckenholtz für Landgraf Wil-helm VIII. auf der Auktion in Den Haag, Slg. Wassenaer-Obdam. (Früher bei dem Bildhauer O. Boselli in Rom. Bei der Ankunft in Kassel enthielt die Urne noch sieben, nach der Erbauung des westfälischen Ständesaals in napoleonischer Zeit nur noch zwei kleine Alabastergefäße, die 1869 ebenfalls gestohlen wurden.)


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Erhaltungszustand/Restaurierung: Untere und obere Leiste des Kastens bestoßen. Oberer Rand der Tabula teilweise abgebrochen. Kleinere Verletzungen der Oberfläche. Relief z. T. überarbeitet. Auf den NS oben Klammerlöcher mit Resten von Eisenklammern, korrespondierende Löcher im Deckel. Deckel antik, aber nicht zugehörig. Hinterer Pulvinus abgesägt und stark bestoßen, vorderer teilweise abgebrochen. Ränder bestoßen. In den Ecken hinter dem Giebelfeld jeweils durchgehende Bohrung mit Resten von Eisendübeln. In der Mitte des vorderen Pulvinus rechteckiges Zapfloch. Inschrift auf der Unterseite des Deckels neuzeitlich. Restaurierung 1985 und 2001: gereinigt.

Beschreibung: Der querrechteckige, sehr flache Kasten ist vollständig ausgehöhlt, seine Innenfläche ist mit dem Spitzeisen grob geglättet. Die unverzierte Rückseite ist geraut. Die Vorderseite ist oben und unten durch eine gerillte Leiste gerahmt, die jeweils ein Stück weit auf die Nebenseiten übergreift. In die obere Leiste ist eine längliche, rechteckige Tabula mit profilierter Rahmung integriert. Die geglättete Tabula ist nicht beschriftet.

An den Ecken befinden sich oben Widderköpfe, an deren Hörnern eine Fruchtgirlande mit Tänien aufgehängt ist. Zwei einander zugewandte Vögel, die auf der Girlande sitzen und an Früchten picken, nehmen die Lünette ein. Unten an den Ecken sitzen Adler mit geöffneten Schwingen, die nach innen in Richtung der Tabula aufblicken. Die Zwickel unter der Girlande füllt jeweils ein nach außen gewandter Vogel. Das Dekor der Ecken greift auf die Nebenseiten über, die ansonsten unverziert und sorgfältig geglättet sind.

Das Bildfeld der Vorderseite ist dicht gefüllt. Einzelne Bohrungen lockern das Stirnhaar der Widderköpfe auf. Die Hörner sind auffallend abgeflacht und durch feine Ritzlinien gegliedert, was auf eine nachantike Überarbeitung hindeutet. Die schmale, relativ kompakte Girlande ist durch Bohrungen deutlich aufgelockert, so dass der Reliefgrund durchscheint. Einzelne Bohrstege verbinden die Früchte miteinander. Die Girlande hat nur ein geringes plastisches Volumen. Längsrillen gliedern die weich fallenden Tänien, die an den Schlaufen nur schmal ausgebildet sind.

Im Giebelfeld des flach geneigten Deckels, das über der linken Nebenseite liegt, flankieren zwei Vögel einen Kantharos. Blattförmige, schuppenartig übereinanderliegende Ziegel bedecken in je zwei Reihen die schrägen Dachflächen. Die schmalen seitlichen Pulvini aus länglichen Blättern sind in der Mitte doppelt umschnürt. Neben dem Giebelfeld enden sie in rosettenförmigen Blüten. Die Unterseite des Deckels mit umlaufendem Falzrand trägt die neuzeitliche Inschrift D · M | SEX · AVFIDIO · PHITEIO | CONIVGI | IANVARIA · B · M · FECIT | ET · SIBI · POSTERIS · QVE | EORVM.


Kasten und Deckel gehören zu stadtrömischen Aschenurnen. Die dichte Füllung des Bildfeldes ist typisch für Marmorurnen der flavischen Epoche, ebenso das Dekorschema mit gerillten Leisten, integrierter Tabula, Widderköpfen als Girlandenträger und Adlern an den Ecken. Das gleiche gilt für die bis auf ein schmales Feld an der Vorderkante unverzierten Nebenseiten. Auch der Reliefstil der Girlande und das aufgebohrte Stirnhaar der Widderköpfe ermöglichen eine Datierung des Kastens in flavische Zeit (Sinn 1987, 31 ff. 139; Boosen 1985/91).

Der Verlust an plastischer Substanz bei der Girlande, die Auflösung durch Bohrungen und das Netz aus Bohrstegen sind jedoch noch nicht so stark ausgeprägt wie z. B. bei der Girlande auf der ebenfalls flavischen Urne Kat. 8.3. Der Kasten ist also wohl bereits in frühflavischer Zeit entstanden (Boosen 1985/91). Er weist in der Gestaltung von Girlande und Tänien enge stilistische Parallelen zu weiteren frühflavisch datierten Urnen auf (Sinn 1987, 138 Nr. 182. 183; Sinn 1991).

Widderköpfe dienen seit claudischer Zeit in zunehmendem Maße als Girlandenträger, in der flavischen Epoche zählen sie zu den häufigsten Eckmotiven. Sie haben eine längere Tradition als Symbol kriegerischer Stärke und werden daher als schützendes Element in das Dekorrepertoire der Grabkunst übernommen (Sinn 1987, 58). Auch die Adler, die eng mit dem Iupiterkult verbunden und in der staatlichen Bildpropaganda ein Zeichen herrscherlicher Macht sind, sollen dem Grab Schutz und Würde sichern (Sinn 1987, 70).

Das ursprünglich sakrale Motiv der Girlande, die durch Vögel belebt ist, dient in der offiziellen Bildsprache augusteischer Zeit als Symbol der Fülle und der Pietas. Als Verweis auf sakrale Riten und die Frömmigkeit der Verstorbenen findet sie Eingang in die Sepulkralkunst und bleibt als Dekormotiv von Urnen bis in flavische Zeit beliebt (Zanker 1990, Herdejürgen 1996). Gleichzeitig erfüllt die Girlande das Bedürfnis der Hinterbliebenen nach einem repräsentativen Grabschmuck mit tröstendem Aspekt (Sinn 1987, 83).

Bei der Urne handelt es sich um ein Massenprodukt, das mitsamt seinem Reliefschmuck vorgefertigt wurde (Sinn 1987, 18). Ein persönlicher Bezug zu dem oder der Verstorbenen entsteht jeweils durch die Inschrift, die die Hinterbliebenen bzw. Käufer der Urne auf der dafür vorgesehenen Tabula anbringen ließen. Aus einem uns nicht bekannten Grund blieb die Tabula von Sk 56 jedoch ohne Inschrift. Urnen wie das Kasseler Stück dienten in der zweiten Hälfte des 1. Jhs. n. Chr. häufig der Bestattung von sozialen Aufsteigern und Angehörigen der mittleren Gesellschaftsschichten. Seit flavischer Zeit wurden sie auch in den Grabnischen der großen Columbarien aufgestellt (Sinn 1987, 86).

Der nicht zugehörige Deckel bedeckte ursprünglich einen größeren Kasten, mit dem er durch das Zapfloch in der Mitte des vorderen Pulvinus verbunden war. Für die Zweitverwendung wurde der eine Pulvinus abgesägt, der Deckel quer aufgelegt und durch neue Löcher in den Giebeln mit den unverzierten Nebenseiten verklammert (Bieber 1915, Boosen 1985/91, Sinn 1987). Bei der wohl nachantiken Umarbeitung geriet der Deckel allerdings etwas zu schmal für den Kasten. Es ist unwahrscheinlich, dass er aus einer älteren Inschriftenplatte gefertigt wurde. Die Inschrift auf seiner Unterseite ist eher nach einem anderen Stein kopiert worden (Sinn 1987, anders Bieber 1915, Boosen 1985/91).

Publiziert:
Wassenaer Auktion 1750, Nr. 343. 344; Bieber 1915, Nr. 83; F. Sinn, Stadtrömische Marmorurnen (1987) 139 Nr. 188. – Zur Inschrift: CIL IV 2, 12826.


Literatur: Boosen 1985/91, Nr. 17; F. Sinn, Stadtrömische Marmorurnen (1987) 6 mit Anm. 32; 18. 31 ff. 58. 70. 83 ff. – Vgl.: Sinn a. O. 138 Nr. 182. 183 Taf. 38 e. 39 a; Sinn 1991, 104 f. Nr. 89. 90 Abb. 220. 221. 224. – Zum Dekor: P. Zanker, Augustus und die Macht der Bilder, 2. Auflage (1990) 276 ff.; H. Herdejürgen, ASR 6, 2 (1996) 25 f.

(NZE)

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