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Porträt eines Mannes Bild1

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Porträt eines Mannes
Kopf, lebensgroß
Inv.-Nr. Sk 124

Mittelseverisch, um 210 n. Chr.

Gelblich-weißer, großkristalliner Marmor.

H 27,5 cm
H Kinn bis Haaransatz 17,5 cm


Fundort: Aus Ephesos (?)

Zugang: Erworben 1969 im Kunsthandel M. Yeganeh, Frankfurt/Main.


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Erhaltungszustand/Restaurierung: Am Hals gebrochen. Nase beschädigt. Lippen, Augen, Brauen und Stirnhaar leicht bestoßen. Im Gesicht Kratzer. Sinterspuren. Punktuell rostrote und dunkle Verfärbungen. Restaurierung 1973/75: gereinigt, entsintert, Standdübel montiert.

Beschreibung: Der kompakte, wenig überlebensgroße Kopf eines jungen Mannes hat eine leicht sphärische Grundform und neigte sich ursprünglich nach links. Sein flächiges, beinahe rundes Gesicht hat eine relativ niedrige Stirn, volle Wangen und ein abgerundetes Kinn, das kaum vorspringt. Die wulstigen Brauenbögen wölben sich stark nach vorne. Sie sind buschig behaart und ziehen sich über der Nasenwurzel leicht zusammen, so dass sich dort zwei vertikale Einsenkungen bilden. Die großen Augen weisen einen relativ weiten Abstand auf. Die bohnenförmigen Pupillenbohrungen liegen knapp unter den weichen Oberlidern. Der melancholische Blick ist aufwärts gerichtet. Unter den Augen zeichnen sich Tränensäcke ab. Vom inneren Augenwinkel aus begleitet je eine Einsenkung den breiten Übergang zwischen Nasenrücken und Wangen. Die Wangenknochen treten nur in der Profilansicht leicht hervor. Von den Nasenflügeln aus verlaufen zwei Einsenkungen parallel zum flaumartigen Schnurrbart, der durch kurze Meißelritzungen angegeben ist. Er lässt die Oberlippe des kleinen, fein geschwungenen Mundes frei. Das fleischige Inkarnat ist durch Hebungen und Senkungen der Oberfläche plastisch durchmodelliert. Ihre Politur verleiht dem Gesicht eine warme weiche Note und lässt die Haut beinahe transparent erscheinen.

Ein kurzer lockiger Bart rahmt das Gesicht an Kinn und Wangen. Seine Strähnen rollen sich spiralartig zu kleinen unregelmäßigen Buckeln ein. Ihre weichen Ansätze wachsen in kurzen gekrümmten Meißelritzungen aus der Hautoberfläche heraus. Zu beiden Seiten des Kinns sind die Löckchenbuckel durch eine schmale flaumartige Zone unterbrochen, die ebenfalls mit feinen Meißelritzungen wiedergegeben ist. Die plastisch sehr differenzierte Ausarbeitung des Bartes verzichtet auf Bohrgänge.

Das volle Haar liegt als lockere Kappe dem Schädel an. Es geht von einem eingesenkten Wirbel am Hinterkopf aus und bedeckt die oberen Ohrmuschelränder. Die relativ langen, sichelartig gebogenen und z. T. aufgezwirbelten Locken sträuben sich über der Stirnmitte zu einer Anastole. Über Stirn und Schläfen ist das Haar in einem schmalen Streifen, der bis zu den Ohren reicht, durch längere Bohrgänge aufgelockert. Dabei verschmelzen die einzelnen Locken noch stärker miteinander als bei dem zuvor besprochenen Männerporträt Kat. 4.18. Die Oberfläche ist in deutlich höherem Maße vereinheitlicht. Dadurch erhält der Kopf eine plastisch geschlossene Gesamtwirkung. Am Hinter- und Oberkopf ist das Haar nur mit dem Meißel ausgearbeitet, sein Gesamtvolumen nimmt jedoch nicht ab.

Das sehr qualitätvolle Bildnis gibt einen uns unbekannten jungen Mann wieder. Seine Datierung ist umstritten. Für eine Einordnung in die Zeit des Kaisers Gallien zwischen 253 und 268 n. Chr. (Inan – Alföldi-Rosenbaum 1979) gibt es jedoch keine hinreichende Begründung. Dagegen sprechen gewichtige Argumente für eine Entstehung in mittelseverischer Zeit, d. h. zwischen 200 und 220 n. Chr. (Fittschen 1970, Bergmann 1977).

In seiner Frisur zeigt das Kasseler Bildnis eine starke Ähnlichkeit mit Porträts des jugendlichen Caracalla (reg. 211–217 n. Chr.), die zwischen 196 und 204 n. Chr. während der Herrschaft seines Vaters Septimius Severus (reg. 193–211 n. Chr.) entstanden sind (Fittschen 1970; Fittschen 1971; Fittschen – Zanker 1985, Nr. 86). Die Tendenz der severischen Zeit zur Vereinheitlichung der Oberfläche und zu einem geschlossenen Umriss ist jedoch bei unserem Privatporträt stärker ausgeprägt. Die Bohrungen im Haar sind deutlich reduziert.

Die Gestaltung des Bartes hingegen findet Parallelen unter den Vertretern des sogenannten 2. Thronfolgertypus, der zwischen 205 und 212 n. Chr. verbreitet ist (Fittschen 1970; Cioffarelli 1988; Fittschen – Zanker 1985, Nr. 88). Nach wie vor ist unklar, ob Caracalla oder dessen jüngerer, 212 n. Chr. ermordeter Bruder Geta dargestellt ist. Der 2. Thronfolgertypus zeigt jedoch eine Kurzhaarfrisur, die auch den ab 212 n. Chr. gültigen ›Alleinherrschertypus‹ des Caracalla kennzeichnet und deren Ausarbeitung auf Bohrungen weitgehend verzichtet (Meischner 1982, 416 ff.; Fittschen – Zanker 1985, Nr. 91). Darin unterscheidet sich das Prinzenporträt von den gleichzeitigen späten Bildnissen des Vaters Septimius Severus (Cioffarelli 1988). Deren Haargestaltung wiederum ist mit dem Kasseler Privatporträt stilistisch gut zu vergleichen (Fittschen 1970, Lullies 1972).

Folglich wird das Bildnis in mittelseverischer Zeit um 210 n. Chr. entstanden sein. Die Gestaltung der Augenpartie mit ihren vorspringenden Brauenbögen, die Abgrenzung der einzelnen Gesichtsteile und die plastische Modellierung des weichen Inkarnats durch Hebungen und Senkungen sind ebenfalls kennzeichnend für die severische Porträtplastik (Fittschen 1970; Meischner 1982, 406 ff.). Auch der versonnene, melancholische Ausdruck und die durch Politur hervorgerufene warme weiche Wirkung der Oberfläche sind an den Bildnissen der Epoche häufiger zu beobachten (Meischner 1982, 407).

In seiner Haartracht folgt das Kasseler Porträt einem modischen Ideal, das sich in mittelseverischer Zeit sowohl in den Bildnissen der kaiserlichen Prinzen als auch einiger jüngerer Privatleute zeigt (Fittschen 1970; Fittschen 1971; Bergmann 1977; Meischner 1982, 402 ff.). Innerhalb dieser Gruppe vertritt es in der Beruhigung und Vereinheitlichung seiner Oberfläche eine fortgeschrittene Entwicklungsstufe. Damit entfernt es sich auch wesentlich stärker von den Traditionen der spätantoninischen Zeit als das zuvor besprochene Privatporträt Kat. 4.18, das nur wenig früher oder ungefähr gleichzeitig entstanden ist. Es zeigt sich, dass in der severischen Porträtplastik eher ›konservative‹ und eher ›fortschrittliche‹ Entwicklungsstufen gleichzeitig nebeneinander existieren (Wiggers – Wegner 1971; Fittschen 1971; Meischner 1982, 437). Dieses Phänomen lässt sich sowohl an den offiziellen Bildnissen von kaiserlichen Familienmitgliedern ablesen als auch an den Porträts von Privatleuten.

Anscheinend spielt dabei auch das Alter des Dargestellten eine Rolle. So orientiert sich der ältere Mann, den das Bildnis Kat. 4.18 zeigt, an dem Porträt des regierenden, ebenfalls bereits älteren Kaisers Septimius Severus, das spätantoninischen Traditionen noch stärker verhaftet ist. Der jüngere Zeitgenosse, den das Bildnis Kat. 4.19 wiedergibt, lehnt sich dagegen an ein modisches Erscheinungsbild an, das auch die Porträts der Prinzen prägt. Sie vertreten gegenüber den gleichzeitigen Bildnissen ihres Vaters eine fortgeschrittenere Stilstufe.

Die Herkunftsangabe des Kopfes Sk 124 legt die Vermutung nahe, dass er im Raum Ephesos entstanden ist (Bergmann 1977). Er zeigt zwar keine spezifischen Merkmale, die ihn von gleichzeitigen Porträts aus Werkstätten in der westlichen Hälfte des Imperium Romanum unterscheiden würden (Fittschen 1970, Lullies 1972, Bergmann 1977). Die samtig weiche Erscheinung des Gesichts in Verbindung mit unregelmäßigen Bohrungen im Stirnhaar ist bei östlichen Werken aber häufiger anzutreffen (Fittschen – Zanker 1983).

Publiziert:
K. Fittschen, RM 77, 1970, 132 ff. Taf. 61; 62, 1; 64, 1; 66, 1; R. Lullies, AA 1972, 30 f. Nr. 29 Abb. 47. 48 (K. Fittschen); Inan – Alföldi-Rosenbaum 1979, Nr. 308 Taf. 218.


Literatur: Zur Datierung und stilistischen Einordnung: H. B. Wiggers – M. Wegner, Das Römische Herrscherbild. Caracalla bis Balbinus (1971) 21 ff.; K. Fittschen, JdI 86, 1971, 230 ff.; Bergmann 1977, 72 ff., 78 ff.; Inan – Alföldi-Rosenbaum 1979, 10 ff.; J. Meischner, JdI 97, 1982, 401 ff.; Fittschen – Zanker 1983, 24 Nr. 23 Anm. 2; Fittschen – Zanker 1985, Nr. 86. 88. 91 Taf. 105. 106. 110. 111; Giuliano 1988, Nr. R 264 Abb. (A. Cioffarelli).

(NZE)

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