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Herakles Typ Farnese Bild1

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Herakles Typ Farnese
Statuettentorso
Inv.-Nr. Sk 133

Römische verkleinerte Kopie, um 130–150 n. Chr. nach dem Vorbild um 320 v. Chr. von Lysippos.

Weißgrauer, feinkristalliner Marmor, einige dunkle Streifen und Flecken

H insgesamt 83 cm
Distanz Brustwarzen 20,5 cm
Distanz Halsgrube bis Bauchnabel 26,5 cm
Halsgrube bis Pubesrand 36,6 cm


Fundort: Angeblich aus Kleinasien

Zugang: Erworben 1981 im Kunsthandel M. Yeganeh, Frankfurt am Main


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Erhaltungszustand/Restaurierung: Unergänzt. Durch Bruch verloren: Kopf mit Hals und Bart auf der Brust, l. Arm mit Ellenbogen und Keule mit Fell vom Löwengesicht abwärts, Finger und r. Handfläche weitgehend, Glied und Hoden, l. Bein ab Oberschenkelansatz, r. Bein unterhalb des Knies, Auflager bzw. Stützmotiv für Keule und Löwenfell an l. Seite, Plinthe. Kleine Verletzungen der Oberfläche. VS sorgfältig geglättet, RS mit kreuz und quer laufenden Raspelspuren. Behaarung des Felles außerhalb der Lockenmähne vorn und hinten durch gleichmäßige Raspelspuren angegeben. Restaurierung 1980: gereinigt, partiell entsintert, mit Standdübel gesockelt.

Beschreibung: Der gut erhaltene Torso besteht aus Rumpf, rechtem Arm, rechtem Oberschenkel mit Knie und einem Stück Löwenfell unter der linken Achsel zwischen Oberarm und Brustkorb. Aus der Bruchfläche des Halses und der Halsgrube ist die Wendung und Neigung des bärtigen Kopfes zur Stützseite zu erschließen: Der Bruchrand am linken Schlüsselbein deutet den Grad der Kopfbewegung an. Der rechte angewinkelte Arm führt hinter die Figur; der Handrücken liegt auf dem rechten Glutäus. Der linke Oberarm ist leicht zurückgenommen; die Schulter durch das Achselstützmotiv etwas erhoben. Der linke Oberschenkel liegt innen am rechten Bein an und war im Schritt nach vorn bewegt. Den Rumpf mit seinen athletischen Formen durchzieht ein bogenförmiger Schwung nach rechts von dem betonten Beckenschrägstand bis zu den annähernd horizontalen Schultern. Zugleich ist der Rumpf zu seiner aufgestützten Seite hin geneigt und der Oberkörper mit Kopf vorgebeugt. Im Vergleich zur plastisch modellierten, kontrastreich bewegten Vorderseite zeigt die Rückseite wenige, lediglich angedeutete anatomische Details, teigig und schematisch modelliert, die Bewegung versteifend. Die weiche und zugleich prägnante Modellierung der Figurenvorderseite in Verbindung mit den Bohrrillen an der Löwenmähne und die vereinfachte fließende Modellierung des Rückens in Verbindung mit den kerbartigen Bohrrinnen der Glutäenspalte und der Fellfalten datieren die Arbeit in hadrianisch-frühantonische Zeit. Aus welchem historischen und ikonographischen Kontext die Statuette stammt, ist unbekannt. Bei der Montage des Torsos war maßgeblich, das Fragment unter Beachtung seines Torsocharakters in Vorderansicht mit seiner typisch linksseitigen Neigung zu sockeln. Die vorgebeugte Haltung des Oberkörpers, welche die Statuette nur reduziert wiedergibt, konnte bei der Objektmontage lediglich angedeutet werden.

Insgesamt gibt der Torso den Statuentypus Herakles Farnese in der Verkleinerung recht getreu wieder. Die fragmentierte rechte Hand kann durchaus mit den typischen Attributen ausgestattet gewesen sein; denn nach Ausweis anderer Repliken hielten im Wesentlichen die gekrümmten Finger die drei Äpfel gefasst. Die Figurenhöhe der Statuette ist auf ca. 1,20 m zu schätzen. Damit erreicht die miniaturisierte Kopie ca. zwei Fünftel der Originalhöhe, wenn die römischen Kopien aus den Caracallathermen in Rom mit ca. 2,92 m die Figurenhöhe des griechischen Originales annähernd richtig wiedergeben (Krull 1985). Derartige Verkleinerungen sind im römischen Kopienwesen häufig, ohne dass Kopistenateliers Miniaturisierungen etwa nach einem standardisierten Größenkanon angefertigt hätten (Bartman 1992). Auch die absolute Größe dieses Statuettenformates ist von zahlreichen römischen Kopien geläufig, die lebensgroße griechische Originale im Zwei-Drittel-Maßstab reproduzieren.

Der bärtige Held steht in kurzer Schrittstellung, die Füße ziemlich nah hintereinander ganz aufsetzend, auf seine Keule gelehnt, die er mit dem Löwenfell polsternd in die linke Achsel gestemmt hat. In der rechten Hand verbirgt er hinter sich drei Äpfel. Der linke leicht nach vorn genommene Unterarm hängt schlaff herab; die untätige offene Hand setzt diese entlastete ausruhende Geste fort. Der berühmteste griechische Held ist als muskulöser, aber gealterter Schwerathlet dargestellt, der sich standmotivisch nicht mehr aus eigener Kraft auf den Beinen hält, sondern ermattet und ausruhend seiner Schutz und Schlagkraft charakterisierenden Attribute als Standstütze bedarf. Seine Neigung und Wendung des Kopfes wirkt in Verbindung mit dem Bart nach Philosophenart und dem Blick nach unten nachdenklich. Die physiognomische Charakterisierung einschließlich des verbergenden Handgestus vereint mit Pathos und Überraschungsmoment die siegreichen und tragischen Züge des Heros, der die vorletzte oder letzte seiner kanonisierten Heldentaten im Dienste des Königs Eurystheus von Mykene vollbracht hat, nämlich drei goldene, Unsterblichkeit verheißende oder moralphilosophisch (Herodoros von Herakleia) Tugenden symbolisierende Äpfel aus dem im fernsten Westen gelegenen Garten der Hesperiden zu holen. Bekanntlich reicht Eurystheus die Äpfel an Herakles zurück, dessen Schutzgöttin Athena schlussendlich sie an den Ursprungsort in den heiligen Hain der Göttermutter Hera, die diesen Apfelbaum zur heiligen Hochzeit mit Zeus von Gaia erhielt, zurückbringt.

Der tiefenräumliche Figurenaufbau kommt in der Stellung der fast hintereinander gesetzten Füße neben dem massigen Felsklotz zum Ausdruck und wird durch den vorgebeugten Oberkörper und Kopf sowie durch die hinter und vor die Figur gehaltenen Unterarme bzw. Hände verstärkt. Der kompositorische Ausgleich durch gegensätzliche Entsprechungen findet nicht primär in dem Kontrapost der Figur, sondern in den Wechselbeziehungen von breitem wie hochgelegenem Oberkörper zu dem voluminösen wie tiefliegenden Stützenauflager statt. Eine kompositorische Zuspitzung des Last- und Stützmotivs erzeugen die beiden nach oben aufeinander zulaufenden Bildelemente der Figur und der Stütze, auf welche motivisch der abwärts gerichtete Kopf und die Arme kontrastierend reagieren.

Die kompositorisch komplexe Figur ist in vielen römischen Kopien, Varianten, Umbildungen und Nachbildungen einschließlich auf Münzen erhalten und kann auf ein spätes, um 320 v. Chr. geschaffenes kolossales Meisterwerk des spätklassisch-frühhellenistischen Bildhauers Lysippos von Sikyon (?) zurückgeführt werden (Krull 1985, Löwe 1997, Hamborg 1997). Sie hat auch in der Neuzeit seit der Auffindung zweier Repliken in den römischen Caracallathermen 1546 im Besitz der Familie Farnese Anlass zu mannigfaltigen Nachbildungen und Interpretationen in künstlerischer, ikonographischer, biographischer, politischer und religionshistorischer Hinsicht gegeben (AK Kassel 1997 passim).

Publiziert:
P. Gercke, Kunst in Hessen und am Mittelrhein 22, 1982, 34 Abb. 10–11 mit Liste publizierter Wiederholungen; P. Gercke, AA 1983, 525 f. Nr. 69 Abb. 101–102; D. Krull, Der Herakles vom Typ Farnese (1985) 112 ff. Nr. 29 Abb.; AK Kassel 1997, 23 ff., 146 Nr. 16 Abb. 106 (W. Löwe).


Literatur: Zum Typus des Herakles Farnese: D. Krull, Der Herakles vom Typ Farnese (1985) passim, neue grundlegende Replikenliste, Kopienkritik; LIMC IV (1988) 762 ff. s. v. Herakles (O. Palagia); Bartman 1992, 27 Anm. 58 Statuettenreplik Elfenbein Malibu. 54 ff. Appendix 3 Statuettenkopien; J. Inan in: O. Brehm – S. Klie (Hrsg.), Mousikos Aner. FS M. Wegner (1992) 223 ff. Statue aus Perge; P. Moreno (Hrsg.), Lisippo. L’Arte e la Fortuna. AK Rom (1995) 242 ff. 352 ff. 416 ff. (P. Moreno); Museumsführer Kassel 2000, 59 Abb. Gipsabguß Kassel A 388 der Glykon-Kopie Neapel Nat. Mus. 280 (M. Klee); Breuer 2001, Nr. 57 verloren; R. Splitter, AW 37, 2006/5, 53 ff. Abb. 2 a. b römische Elfenbeinstatuette Kassel Inv. V 145 (ehemals Leihgabe seit 1999). – Zu Lysippos: C. M. Edwards in: Palagia – Pollitt 1996, 145 ff.; Vollkommer 2004, 29 ff. s. v. Lysippos (I) (P. Moreno). – Zu Herakles Farnese auf Münzen in Kassel: AK Kassel 1997, 31 ff. 149 f. Nr. 22–26. Abb. (B. Hamborg); Museumsführer Kassel 2000, 54 Abb. (M. Klee); R. Splitter a. O. Abb. 3–6.

(PG)

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