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Aphrodite (?) Bild1

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Aphrodite (?)
Kopf einer Statue, unterlebensgroß
Inv.-Nr. Sk 135

Antoninisch, 160–180 n. Chr.

Weißer-cremefarbener, kleinkörniger Marmor

H 25,5 cm
Kinn-Zopfschleife 23 cm
Kinn-Haaransatz 14,5 cm


Fundort: Aus Kleinasien (?)

Zugang: Erworben 1986 im Kunsthandel M. Yeganeh, Frankfurt am Main


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Erhaltungszustand/Restaurierung: Am Hals schräg nach r. abfallend gebrochen; Oberfläche l. am Halsansatz abgeplatzt; Nackenschlaufe bestoßen, Unterseite abgebrochen, ebenso Nackenzöpfe; r. Hälfte der Haarschleife über dem Scheitel bestoßen, l. antik angestückte Hälfte fehlt. Frisur, Nase, r. Augenbraue und Wange bestoßen. Oberflächliche Verletzungen an Stirn, Lippen und Kinn. Auf l. Seite besonders im Bereich der Frisur bräunlicher Sinter. Restaurierung 1986: gereinigt, Standdübel montiert. 2001 gereinigt.

Beschreibung: Der etwas unterlebensgroße Kopf wendet sich mit einer Neigung deutlich nach links, so dass sich der Blick auf einen Punkt links vor der Gestalt richtet. Das Gesicht hat eine länglich-ovale Form mit einer vom Haaransatz giebelförmig begrenzten Stirn, vollen straffen Wangen, deren Knochen nicht hervortreten, und einem kleinen, kaum akzentuierten Kinn. Die scharf gezeichneten Brauenbögen münden direkt in den schmalen kantigen Nasenansatz. Nach außen hin steigen sie leicht an. Die langgezogenen mandelförmigen Augen sind extrem schmal. Über ihren äußeren Winkeln treten die Orbitale etwas vor. Die schweren dicken Oberlider lassen den Blick leicht schläfrig wirken. Die Unterlider sind plastisch kaum abgesetzt und bilden einen schwimmenden Übergang zwischen Augapfel und Wange. Die Tränenkanäle sind spitz ausgearbeitet, die feinen doppelten Pupillenbohrungen liegen unmittelbar unter den Oberlidern, die jeweils die kleinformatige eingeritzte Iris überschneiden. Der kleine, leicht geöffnete Mund mit gebohrter Spalte hat fein geschwungene Lippen, deren untere etwas voller ist. Besonders die Oberlippe, die in ihrer Mitte einen leichten Zipfel bildet, ist plastisch kaum abgesetzt. Das Inkarnat ist weich und porzellanhaft zart modelliert.

Das Haar läuft von einem Mittelscheitel aus als Kranz zum Nacken. Dort ist es zu einer Schlaufe aufgenommen. Hinter den halbverdeckten Ohren löst sich jeweils ein dicker Haarstrang und fällt in den Nacken herab. Der Haarkranz ist offenbar in ein schmales Band eingeschlagen, das über der Stirn hervortritt. Dort lösen sich zu beiden Seiten einige Strähnen aus dem Kranz, laufen über das Haarband und sind über dem Scheitel zu einer Schleife aufgebunden. Ihre Spitzen rollen sich auf dem Oberkopf schneckenförmig ein. Von der Stirn bis zu den Ohren gliedern kurze schmale Bohrkanäle mit stehengebliebenen Stegen den Haarkranz in einzelne wellige Strähnen, die wiederum durch flachere Rillen unterteilt sind. Auf dem Oberkopf und im Bereich der Nackenschlaufe teilen feine Rillen von der Oberfläche her das Haar in schmale kantige Strähnen.

Die Frisur des weiblichen Kopfes ist charakteristisch für Abbilder der Liebesgöttin im Typus Aphrodite/Venus Capitolina, dessen Benennung auf eine vorzüglich erhaltene, nur wenig mehr als lebensgroße Statue im Kapitolinischen Museum Rom zurückgeht. Er gibt die nackte Göttin stehend mit leicht vorgebeugtem Oberkörper wieder. Ihr linker Arm ist schräg über den Unterkörper und den Schoß bis zum rechten Oberschenkel geführt, ihr rechter, leicht vom Oberkörper abgespreizter Arm ist angewinkelt und über die Taille vor die linke Brust gelegt. Ihr Kopf ist nach links gedreht, zur Schulter geneigt und gesenkt. Der Blick der Göttin richtet sich auf ein Ziel in ihrer Nähe.

Neben der Frisur legen die Wendung und Neigung sowie die Blickrichtung des Kasseler Kopfes die Vermutung nahe, dass er zu einer verkleinerten Wiederholung der Kapitolinischen Aphrodite gehört haben könnte. Der Kopftypus kann aber mit einem entsprechenden Torso auch zur Wiedergabe weiterer Aphroditetypen, Nymphen oder anderer Göttinnen eingesetzt werden (Bieber 1977, Dierichs 2003). Der Kopf allein gibt uns folglich keine sichere Auskunft darüber, wen die Statue darstellte, zu der er einst gehörte.

Als Vorbild liegt dem Typus die hellenistische Neufassung der spätklassischen Aphrodite von Knidos zugrunde, die der Bildhauer Praxiteles geschaffen hatte (Felletti Maj 1951, Brinkerhoff 1971, Vierneisel-Schlörb 1979, Neumer-Pfau 1982, Havelock 1995). Die genaue Entstehungszeit des Typus der Kapitolinischen Aphrodite ist jedoch immer noch heftig umstritten. Die Zeitspanne der Vorschläge reicht vom späten 4. Jh. v. Chr. bis in die zweite Hälfte des 2. Jhs. v. Chr. Die namengebende Statue im Kapitol und die weiteren vollständigeren Repliken weisen in ihrer geschlossenen Komposition Ähnlichkeiten mit der um 280/279 v. Chr. datierten Porträtstatue des Demosthenes auf. Daher erscheint eine Entstehung des Typus in frühhellenistischer Zeit zwischen 280 und 250 v. Chr. naheliegend (Schröder 2004).

Die außerordentliche Beliebtheit des Typus in römischer Zeit schlägt sich in mehr als 100 Kopien und Wiederholungen nieder (Felletti Maj 1951, Neumer-Pfau 1982, Landwehr 1993, Schröder 2004). Die Gliederung des Haars durch Bohrkanäle und Rillen in der beschriebenen Art spricht für eine Datierung des Kasseler Kopfes in antoninische Zeit (Fuchs 1992; Johansen 1995, Nr. 85–86. 92). Eine ähnliche Wiedergabe des Haars auf dem Oberkopf begegnet bei Porträts der Faustina Minor und bei mittelantoninischen Privatbildnissen (Fittschen – Zanker 1983, Nr. 21–22. 105. 107; Johansen 1995, Nr. 84; vgl. hier Kat. 4.14).

Auch die Gestaltung der Augen mit ihren schweren Oberlidern und dem leicht schläfrigen Blick weist in die antoninische Epoche. Eine besonders enge Parallele zu dem Kasseler Kopf, der angeblich aus Kleinasien stammt, bietet die Augenbildung einer antoninischen Porträtstatue aus Perge (Inan – Rosenbaum 1966). Ein Bildnis der Lucilla (Fittschen – Zanker 1983, Nr. 24) und einige mittelantoninische Privatporträts (Heintze 1968; Fittschen – Zanker 1983, Nr. 106. 130) zeigen ebenfalls vergleichbare Augenformen. Sehr schmale Augen und ein ähnlich verschwimmender Übergang zwischen Augapfel, Unterlid und Wange sind auch bei einigen Bildnissen des Lucius Verus anzutreffen (vgl. hier Kat. 4.15). Der Kasseler Aphroditekopf stellt folglich eine ausgesprochen ›zeitgemäße‹ römische Umsetzung seines hellenistischen Vorbilds dar, die dem Stil ihrer Herkunftsregion entspricht.

Publiziert:
Unpubliziert.


Literatur: K. Tancke, Manuskript für einen Erwerbungsbericht. – Zur Kapitolinischen Aphrodite: B. M. Felletti Maj, ArchCl 3, 1951, 33 ff.; D. M. Brinkerhoff, in: D. G. Mitten – J. G. Pedley – J. A. Scott (Hrsg.), Studies presented to George M. A. Hanfmann (1971) 9 ff.; Vierneisel-Schlörb 1979, 334 Anm. 70; W. Neumer-Pfau, Studien zur Ikonographie und gesellschaftlichen Funktion hellenistischer Aphroditestatuen (1982) 62 ff.; Landwehr 1993, Nr. 4; C. Havelock, The Aphrodite of Knidos and her Successors (1995) 74 ff.; Schröder, 2004 Kat. 123. – Zur stilistischen Einordnung und Datierung: Inan – Rosenbaum 1966, Nr. 47 Taf. 31; Heintze 1968, Nr. 39; Fittschen – Zanker 1983, Nr. 21–22. 24. 105–106 Taf. 29–31. 33. 132–134; Fuchs 1992, Nr. 14, Johansen 1995a, Nr. 84–86. 92; Schröder a. O. – Zum Kopftypus: M. Bieber, Ancient Copies (1977) 49 f. Abb. 180. 181; 76 Abb. 296; 92 Abb. 423; A. Dierichs, AW 34, 2003, 303 Abb. 10.

(NZE)

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