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Frauenkopf Bild1

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Frauenkopf
Büste
Inv.-Nr. Sk 40

17. oder frühes 18. Jh., nach antikem Vorbild.

Weißgrauer, kleinkristalliner Marmor mit dunklen Adern und Sprenkeln.

H 19,5 cm
H Kopf 13,5 cm
H Kinn bis Haaransatz 9,5 cm



Zugang: Erworben 1750 durch Rat Arckenholtz für Landgraf Wilhelm VIII. auf der Auktion in Den Haag, Slg. Wassenaer-Obdam.


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Erhaltungszustand/Restaurierung: Büste mit Halsteil angesetzt. Hinterkopf und Nase fehlen, frühere Ergänzungen vor 1953 abgenommen. Risse in Haar, Stirn und neben r. Auge. Oberfläche der Frisur im vorderen Bereich bis zu den Ohren stark verwittert, hinter den Ohren Haar überarbeitet. Kleine Verletzungen der Gesichtsoberfläche. Auf Büste und Hals vorne dunkle Verfärbung, greift l. unterhalb der Kinnpartie geringfügig auf das Kopfteil über. Restaurierung 1985: gereinigt.

Beschreibung: Der kleinformatige Kopf sitzt auf einer Büste mit äußerst knappem Halsausschnitt. Sie hat breite, abgeschrägte Kanten. Die abgerundete Rückenstütze bildet eine blockhafte Einheit mit den konkav geschwungenen Seitenteilen. Der nach rechts gewandte Kopf zeigt ein breites ovales Gesicht mit verschwimmenden Konturen. Ein giebelförmiger Haaransatz rahmt die Stirn. Unter den abgeschliffenen kantigen Brauen wölben sich die Orbitale leicht vor. Geschwungene kantige Oberlider säumen die mandelförmigen Augen. Die Unterlider verschwimmen jeweils mit den Wangen. Die Tränenkanäle sind durch Punktbohrungen angegeben, Pupillenbohrungen sind nicht vorhanden. Der kleine Mund weist eine volle Unterlippe auf. Die Lippenspalte deutet nach unten gezogene Mundwinkel an. Die weich erscheinende, leicht raue Oberfläche des Gesichtes ist nicht bis zur letzten Stufe geglättet. Die starke Verwitterung des Haars greift nicht auf das Gesicht über, auch das rechte Ohr ist verschont.

Das Stirnhaar liegt in glatten Strähnen am Kopf an und bildet vor den freibleibenden Ohren kleine Dreiecke. Vier Lagen geflochtener Zöpfe legen sich zu einem Turban um den Kopf. Dieser verbreitert sich nach oben und besteht hinter den Ohren aus sechs Lagen von Flechten. Er reichte anscheinend tief ins Genick hinab. Hinter den Ohren ist die Gliederung der Zöpfe durch einzelne Meißelschläge als grobe Zickzacklinie nachgeschnitten, die Dreiecke ausbildet. Im vorderen Bereich sind nur noch schwache Spuren einer Binnenzeichnung zu erkennen. Die Oberfläche der überarbeiteten Partien liegt auf einem höheren Niveau als die der verwitterten. Die oberste Flechte des Turbans, die über den Oberkopf hinausreicht, ist auf ihrer Innenseite durch unbeholfene parallele Rillen gegliedert. Breite wellenförmige Haarsträhnen laufen horizontal über den Oberkopf. Eine schwache, sehr schräg angelegte Ritzlinie deutet möglicherweise einen Mittelscheitel an.

Das Bildnis ist anders als ursprünglich angenommen kein Werk der traianischen Zeit (Bieber 1915), sondern eine neuzeitliche Arbeit des 17. oder frühen 18. Jhs. (Boosen 1985/91). Sie orientiert sich an weiblichen Privatporträts der hadrianischen Epoche, für die eine solche Frisur aus Flechtzöpfen charakteristisch ist (Boosen 1985/91, Fittschen – Zanker 1985, Andreae 1995, Kersauson 1996, hier Kat. 4.10). Für eine insgesamt neuzeitliche Entstehung sprechen neben der Form der Büste (Boosen 1985/91; Müller-Kaspar 1988, 82 ff.) auch motivische Ungereimtheiten. Dazu zählt die Vermehrung der Zöpfe hinter den Ohren, die bei den antiken Vorbildern nicht belegt ist. Der Haarturban reicht am Hinterkopf zu weit hinab. An dieser Stelle wird an den Frauenporträts hadrianischer Zeit das Haar zunächst in gedrehten Strängen oder glatten Strähnen aufgenommen, um dann etwas weiter oben den Turban zu bilden. Die Gestaltung der Frisur auf dem Oberkopf weicht ebenfalls von den antiken Vorbildern ab. Statt quer verlaufender Wellen finden sich dort üblicherweise Flechtzöpfe oder glatte Strähnen, die nach hinten zum Nacken laufen. Die überstehenden Partien des Turbans weisen bei den antiken Vergleichsstücken auch auf ihrer Innenseite eine Flechtengliederung auf. Es ist anzunehmen, dass der neuzeitliche Bildhauer die Frisuren seiner antiken Vorbilder in ihrer Struktur nicht verstanden hat.

Die samtig-weiche Oberfläche des Gesichtes und seine verschwimmenden Konturen deuten ebenfalls auf eine neuzeitliche Anfertigung hin (Müller-Kaspar 1988, 75). Es ist zudem auffällig, dass sich die starken Verwitterungen exakt auf die Frisur beschränken und an einer relativ geraden Linie hinter den Ohren enden. Die Oberfläche der überarbeiteten Partien liegt merkwürdigerweise höher als die der vorgeblich im Zustand der Auffindung belassenen verwitterten. Es erhebt sich auch die Frage, warum nicht die Ansichtsseite nachgearbeitet und damit in einen ›präsentablen‹ Zustand versetzt wurde. Es drängt sich der Verdacht auf, dass die Verwitterungsspuren künstlich erzeugt wurden, eventuell unter Einsatz von Säure (Ladendorf 1953; Müller-Kaspar 1988, 63. 76). Das gleiche gilt für die Verfärbung auf der ›ergänzten‹ Büste, die minimal auf das Kopfteil übergreift. Die Verletzungen der Gesichtsoberfläche durch Gruppen punktförmiger Vertiefungen könnten ebenfalls künstlich hervorgerufen worden sein (Müller-Kaspar 1988, 76). Gemeinsam mit den motivischen Ungereimtheiten legen die genannten Auffälligkeiten die Vermutung nahe, dass es sich bei dem Bildnis um eine bewußte Fälschung handelt (Müller-Kaspar 1988, 128 ff.). Die früheren Ergänzungen waren wohl Teil des Täuschungsmanövers und sollten wie die Beschädigungen und Verwitterungsspuren suggerieren, dass es sich bei dem Stück um ein antikes Original handele (Ladendorf 1953, Grassinger 1994). Es ist jedoch nicht bekannt, ob die Bildnisbüste zum Zeitpunkt ihrer Erwerbung aus der Sammlung Wassenaer-Obdam für antik gehalten wurde.

Publiziert:
Wassenaer Auktion 1750, Nr. 290; Bieber 1915, Nr. 52.


Literatur: Boosen 1985/91, Nr. 47. – Zu Antikennachbildungen und -fälschungen: H. Ladendorf, Antikenstudium und Antikenkopie in der neueren Kunst (1953) 67; Müller-Kaspar 1988, 63. 75 f. 128 ff.; D. Grassinger, Antike Marmorskulpturen auf Schloß Broadlands (1994) 105 f. Nr. 33. – Zu den antiken Vorbildern: Fittschen – Zanker 1985, Nr. 83–86; Andreae 1995, Taf. 519–521. 524–528; Kersauson 1996, Nr. 78.

(NZE)

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