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Inschriftenstele Ptoion Bild2

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Inschriftenstele Ptoion
Fragment
Inv.-Nr. Sk 147

3. Jh. n. Chr.

Weißer, mittelkristalliner Marmor mit gelblich-bräunlicher Patina.

H 44 cm
B 65 cm


Fundort: Vor 1903 in Larymna, Böotien gefunden. Ursprünglich aus dem Heiligtum des Apollon Ptoios, Böotien.

Zugang: Erworben 1995 im Kunsthandel Antikenkabinett, Frankfurt am Main. (Vormals in französischem Privatbesitz)


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Erhaltungszustand/Restaurierung: Unterer Teil fehlt, Bruch schräg von l. nach r. ansteigend; r. obere Ecke abgebrochen, an l. oberer Ecke Rand ausgebrochen. Oberfläche des Reliefs teilweise abgerieben, kleinere Fehlstellen in Inschrift. Großflächige Versinterungen. Auf Unterseite zwei Dübellöcher von früherer Montage. Restaurierung 1994: gereinigt, mit Standdübeln gesockelt. 2001 Aufhängung montiert.

Beschreibung: Der obere Teil einer rechteckigen Stele weist eine sorgfältig geglättete Oberfläche auf. Zwei eingravierte kannelierte Pilaster rahmen das zentrale Inschriftenfeld. Der rechte Pilaster ist eradiert, seine leicht vertiefte Oberfläche trägt eine zweite Inschriftenkolumne. Eine gemeißelte Rille über den Pilastern trennt den Text von einem eingetieften Bildfeld mit glatter Rahmung. In seinem Zentrum befindet sich ein Adler mit geöffneten Schwingen, hinter dem sich ein Lorbeer- und ein Olivenblattkranz verschränken. Rechts unter dem Flügel des Adlers ist ein kleiner runder Gegenstand sichtbar. Links von dem Mittelmotiv kreuzen sich zwei Palmwedel, rechts von ihm ist eine Amphora in die Oberfläche des Bildfeldes eingetieft. Seine obere Rahmenleiste trägt folgende Inschriftenzeile (Abschrift Bizard 1903):


1   […]ΤΩ ΕΤΕΙ ΣΤΕΦΑΝΗΦΟΡΟΝ ΚΑΙ ΑΓΩΝΟΘΕΤΗΝ
Die zentrale Inschrift lautet:
2   ΑΓΑΘΗΙ ΤΥΧΗΙ
    ΕΠΙ ΑΡΧΟΝΤΟΣ ΑΥΡ(ήλιου) ΥΠΕΡΔΕΞΙΟΥ ΤΟΥ ΣΩΚΡΑΤΟΥΣ
    ΑΓΩΝΟΘΕΤΟΥΝΤΟΣ ΤΟΥ ΑΓΩΝΟΣ ΤΩΝ ΠΕΝΤΑΕΤΗΡΙΚΩΝ
5   ΠΤΩΙΩΝ ΚΑΙΣΑΡΕΙΩΝ ΑΥΡ ΑΡΧΕΔΗΜΟΥ ΤΟΥ ΣΩΤΗΡΟΥ ΕΙΣΑ
    ΓΩΓΕΩΣ ΤΟΥ ΥΙΟΥ ΑΥΤΟΥ ΑΥΡ ΣΩΤΗΡΟΥ ΠΡΟΦΗΤΕ[Υ]ΟΥΝΤΟΣ
    ΑΥΡ ΝΕΙΚΑΣΙΩΝΟΣ ΤΟΥ ΠΑΡΑΜΟΝΟΥ ΙΕΡΕΩΣ ΑΥΡ [ΟΝ]ΗΣΙ
    ΦΟΡΟΥ ΤΟΥ ΟΝΗΣΙΦΟΡΟΥ             ΕΝΕΙΚΩΝ ΟΙΔΕ
    ΣΑΛΠΙΚΤΩΝ ΜΑΡ ΑΥΡ ΡΟΥΦΟΣ [Α]ΘΗΝΑΙΟΣ KΗΡΥKΩΝ ΜΑΡ
10 ΑΥΡ ΕΥΚΑΙΡΟΣ ΤΑΝΑΓΡΑΙΟΣ ΠΟΙΗΤΩΝ ΜΑΡ ΑΥΡ ΔΙΟΥΣΙΟΣ
    ΒΥΖΑΝΤΙΟΣ ΚΑΙ ΕΛΑ[Β]ΕΝ ΚΑΤΑ ΤΑΣ ΔΙΑΤΑΞΕΙΣ ΔΙΠΛΟΥΝ ΤΟ Θ[Ε]
    ΜΑ ΡΑΨΩΔΩΝ ΜΑΡ ΑΥΡ ΕΥΚΑΙ[Ρ]ΟΣ ΤΑΝΑΓΡΑΙΟΣ ΠΥΘΙΚ[…]
    ΛΗΤΩΝ ΑΥΡ ΑΘΗΝΑΙΟΣ ΑΘΗΝΑΙΟΣ ΚΥΚΛΙΩΝ ΑΥ[…]
    ΑΘΗΝΑΙΟΣ ΑΘΗΝΑΙΟΣ ΚΙΘΑΡΙΣ[…]
15      ΛΑΟΔΙΚΕΥΣ ΑΡΕΣ[…]
    ΑΥ[ΗΡ …]
Der eradierte Pilaster trägt folgende Inschrift:
ΑΛΕΙΨΑΝ │ ΤΑ ΔΕ ΠΑ │ ΣΑΣ ΕΟΡ │ ΤΑΣ ΕΝ ΤΗ │ ΠΟΛΕΙ │ ΚΑΙ ΕΝ │ ΠΤΩΙΩ│ ΤΗ ΤΕΤΡΑ │ ΕΤΙΑ

Auf der glatten Rückseite der Stele ist ein rechteckiger Linienrahmen eingetieft. Aus dem Inhalt der Inschrift geht hervor, dass die Stele aus dem Heiligtum des Apollon Ptoios in Böotien stammt. Erst in nachantiker Zeit wurde sie in das nahegelegene Larymna verschleppt (Bizard 1903). Der zentrale Teil der Inschrift enthält einen Katalog der Sieger bei den Ptoïschen Spielen (Πτωία), die alle vier Jahre in dem Heiligtum stattfanden und in römischer Zeit mit Spielen zu Ehren der Kaiser (Πτωία και Καισαρεία) verbunden waren. Sie bestanden aus musischen Wettkämpfen. Für ihre Ausrichtung war die böotische Polis Akraiphia zuständig, in deren Gebiet das Heiligtum lag.

Die Eingangsformel der zentralen Inschrift in Zeile 2 (Αγαθή Τύχη = zum guten Glück) ist in größeren Buchstaben wiedergegeben als der Rest des Textes. Ihr ist in archaistischer Weise ein ι beigeschrieben (Bizard 1903). Der Text nennt zunächst in Zeile 3–8 die politischen und religiösen Amtsträger, die in dem betreffenden Jahr für die Durchführung der Spiele verantwortlich waren. Archon (höchster politischer Beamter) war Aurelios Yperdexios, Sohn des Sokrates. Agonothet (Leiter des Wettkampfes) war Aurelios Archedemos, Sohn des Soteros. Das Amt des Eisagogeus hatte sein Sohn Aurelios Soteros inne. Er führte die teilnehmenden Wettkämpfer ein und fungierte als Schiedsrichter bei Streitigkeiten (Bizard 1903; Lauffer 1959, 1550). Außerdem erwähnt die Inschrift Aurelios Neikasion, Sohn des Paramonos, als Propheten des Apollonorakels, das mit dem Heiligtum verbunden war, und den Priester Aurelios Onesiphoros, Sohn des Onesiphoros.

Anschließend nennt die Inschrift die Sieger der Spiele nach Wettkampfdisziplinen. Bei den Trompetern (Σαλπικτών): Markos Aurelios Rufus aus Athen. Bei den Herolden (Κηρυκών) und Rhapsoden (Ραψωδών): Markos Aurelios Eukairos aus Tanagra. Bei den Dichtern (Ποιητών): Markos Aurelios Dionysios aus Byzantion. Er erhielt den Regeln entsprechend den doppelten Siegespreis (Θέμα). Außerdem sind die Sieger im Flöten- und Kitharaspiel aufgelistet.

Entsprechend dem Inhalt der Inschrift zeigt das Bildfeld Siegessymbole und -preise. Die Darstellung zweier unterschiedlicher Kränze könnte dabei auf den Doppelcharakter der Spiele zu Ehren des Apollon Ptoios und des römischen Kaisers anspielen.

Die Inschriftenzeile über dem Bildfeld ehrt eine Person, die zu der fraglichen Zeit das religiöse Amt des Stephanephoren und das des Agonotheten bekleidete. Wahrscheinlich bezieht sie sich auf den in Zeile 5 genannten Aurelios Archedemos (Bizard 1903, Gercke 1999).

Die Inschrift in der zweiten Kolumne gilt einem Würdenträger, der die Kosten der Άλειψις für alle Feste übernommen hatte, die in der Stadt und dem Ptoion alle vier Jahre gefeiert wurden. Mit der Stadt ist wohl Akraiphia gemeint (Bizard 1903; Lauffer 1959, 1547).

Die Ptoïschen Spiele wurden durch einen Amphiktyoniebeschluß in den Jahren 228–226 v. Chr. begründet. Möglicherweise handelte es sich um eine Erneuerung älterer Spiele (Lauffer 1959, 1547 ff.). Nachdem die Ptoia in augusteischer Zeit aus wirtschaftlichen Gründen aufgegeben worden waren, wurden sie um die Mitte des 1. Jhs. n. Chr. durch die Stiftung eines wohlhabenden Bürgers aus Akraiphia neu belebt und nach althergebrachter Art gefeiert. Wie an anderen Orten wurde in ihnen die einheimische Tradition mit dem Kaiserkult verbunden (Lauffer 1959, 1551. 1562).

Der römische Namensbestandteil Aurelios weist darauf hin, dass die Inschriftenstele nach dem Edikt des Kaisers Caracalla vom Jahre 212 n. Chr. entstanden sein muß, das allen freien Bewohnern des Imperium Romanum das römische Bürgerrecht gewährte (Bizard 1903, Gercke 1999). Die Stele ist somit ein Beweis dafür, dass die neuorganisierten Ptoia und Kaisareia bis in das 3. Jh. n. Chr. hinein mit unverändertem Programm begangen wurden und der Kult mit seinen Ämtern weiterhin Bestand hatte, auch wenn er sich in dieser späten Phase hauptsächlich in den Festspielen manifestierte (Bizard 1903; Lauffer 1959, 1551 ff. 1562 f.; vgl. Bizard 1920). Das Amt des Eisagogeus ist in der Kasseler Inschrift für die Ptoia erstmals nachgewiesen (Bizard 1903), was aber möglicherweise auf einen Zufall der Überlieferung zurückzuführen ist (Lauffer 1959, 1550).

Die Inschrift belegt jedoch auch, dass die Sieger spätestens im 3. Jh. n. Chr. nicht mehr wie in früheren Zeiten einen Kranz (Στεφανη), sondern einen Geldpreis (Θέμα) erhielten. Die Ptoia waren also nicht mehr στεφανίται sondern θεματικοί (Bizard 1903; Lauffer 1959, 1553; Gercke 1999). Die Namen der Wettkampfsieger zeigen, dass die Teilnehmer nun nicht mehr nur aus böotischen Städten kamen (Lauffer 1959, 1549), sondern auch aus anderen Orten der griechischen Welt wie z. B. Athen oder Byzantion (Lauffer 1959, 1550). Die Stele ist ein sehr wichtiges Dokument zur Geschichte der Ptoia und des Apollon Ptoios-Heiligtums in römischer Zeit.

Publiziert:
L. Bizard, BCH 27, 1903, 296 ff.; AK Kassel 1999, 40 Nr. 22 (P. Gercke).


Literatur: Zum Apollon Ptoios-Heiligtum und den Ptoia, mit Lit.: RE XXIII 2 (1959) 1506 ff. s. v. Ptoion (S. Lauffer); Lauffer 1989, 574 f. s. v. Ptoion (K. Braun); DNP 10 (2001) 526 s. v. Ptoion (M. Fell). – Zu den Ptoia im 1. Jh. v. Chr.: L. Bizard, BCH 44, 1920, 249 ff. Nr. 10.

(NZE)

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