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Artemis Elaphebolos Bild2

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Artemis Elaphebolos
Weihrelief
Inv.-Nr. Sk 41

Attisch, um 420–410 v. Chr.

Weißer, mittelkristalliner Marmor, braun patiniert.

H 42 cm
B oben 29 cm
B unten 30 cm
D 7 cm
Relieftiefe bis 1,5 cm


Fundort: Vermutlich Athen.

Zugang: 1688 von hessischen Truppen aus Griechenland für Landgraf Karl mitgebracht.


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Erhaltungszustand/Restaurierung: Unergänzt. Verwittert und bestoßen. Die vorstehenden Teile auf der l. Bildhälfte sind glatt abgeschliffen. Seitenränder geglättet, RS gepickt; vermutlich ursprünglich in eine Wand eingelassen. Hohe Sockelleiste, niedrige Deckleiste, Seitenränder als Leisten schwach ausgebildet. Restaurierung 1912/13: (Bieber 1915). Im 2. Weltkrieg leicht brandgeschädigt. Restaurierung 1973/75: gereinigt, gefestigt, Aufhängung montiert.

Beschreibung: Die nach rechts jagende Artemis erlegt einen bergwärts fliehenden, zusammenbrechenden Hirsch. Im hügeligen Gelände hat sie das Tier, das bereits von einem Speer im Genick getroffen ist, mit der Linken am kurzen Geweih gepackt. Mit dem Speer in ihrer hoch erhobenen Rechten holt sie zum Todesstoß aus. Die Göttin ist in ausgreifender kämpferischer Ausfallstellung fast vorderansichtig dargestellt, den Kopf im rechten Profil, vermutlich mit Blickkontakt zum Tier. Ihr Haar ist zu einem spitzen Schopf über dem Wirbel aufgebunden. Sie trägt Sandalen und den gegürteten dünnen Chiton mit Überschlag und einen Mantel, der vorn kurz über die Schultern fällt und hinten im Wind flatternd beidseitig bis zu den Knien reicht. Kurvenreiche Faltenmotive begleiten und verdeutlichen die Bewegung des Körpers. Auf das sich zuspitzende Geschehen unten in der rechten Bildhälfte führen die von links oben diagonal nach rechts abwärts gerichteten Handlungen und Bewegungen der Göttin mit ihrer Kopfwendung, Oberkörperneigung, den ausgestreckten Armen, den parallelen Speeren und ihrer Kampfschrittstellung. In der aufwärts gerichteten Haltung des Tieres treffen die Bewegungen nahezu rechtwinklig aufeinander. Bäuchlings liegt der Hirsch mit eingeknickten Läufen auf dem zum Rand ansteigenden Fels und reckt Kopf und Hals neben der rechten Bildleiste empor. Das flache Relief gibt die Figuren in schlichter Bildausdehnung und Tiefenstaffelung wieder. Artemis agiert nahezu bildparallel mit geringer räumlicher Tendenz im Wechsel zwischen Beinstellung und Oberkörperdrehung. Hinter ihrem linken vorgesetzten Bein kommt der Tierleib hervor und reicht mit dem linken hochgestellten Vorderlauf bis auf die Randleiste.

Die freie, gelöste Bewegung der Göttin, die bildparallele Anordnung der Figuren auf dem Reliefgrund und die kurvenreichen Faltenmotive deuten daraufhin, dass das Relief in einer attischen Bildhauerwerkstatt in den letzten Jahrzehnten des 5. Jh. v. Chr. entstanden ist. Für das Bewegungsmotiv der auf felsigem Boden Laufenden, für das Haltungsmotiv mit frontalem Oberkörper und für das Gewandmotiv mit durchscheinendem Körper ist das etwa gleichformatige Reliefbild der fliehenden Frau auf der Platte D des Frieses vom Ilissos-Tempel (Berlin Sk 1483) die zeitlich und stilistisch nächste Parallele. Der Tempelfries auf der gleichen Stilstufe wie der Nike-Tempel (Vollendung der Balustradenreliefs um 410 v. Chr.) wird überzeugend der Periode nach Errichtung der neuen Propyläen (437–432 v. Chr.) und vor Vollendung des Erechtheion (421–406 v. Chr.) zugewiesen (Krug 1979). Es wird vermutet, dass das Votivrelief aus dem Heiligtum der Artemis Brauronia auf der Athener Akropolis oder der Artemis Agrotera nahe der Akropolis im Ilissos-Kallirrhoe-Gebiet südlich des Olympieions stammt (Beschi 2002). Die jungfräuliche Jagdgöttin, Zwillingsschwester des Apollon, ist eine seit minoisch-mykenischer Zeit in Griechenland heimische Gottheit, die vielseitige Wesenszüge verkörpert. Zu den bedeutendsten gehört ihre Gestalt als Herrin der Tiere (Potnia Theron/Artemis Agrotera), welche die Tiere in der freien Natur hegt und jagt. Dem Hirsch ist sie besonders zugetan. Das Töten eines Tieres – und frevelnder Menschen wie der Niobiden (s. hier Kat. 5.3) – wird erst im späteren 5. Jh. v. Chr. und danach häufiger dargestellt. Unser Relief gehört zu den frühen Tötungsbildern der mächtigen Gottheit. Die Weihegabe kann Artemis Elaphebolos sowohl zum Dank als auch zur Fürbitte für erfolgreiche Jagd dargebracht worden sein.

Publiziert:
Bieber 1910, 9 ff. Taf. II; Bieber 1915, Nr. 74 Taf. 32; G. Bruns, Die Jägerin Artemis. Studie über den Ursprung ihrer Darstellung (1929) 59 Bildtypus; E. Simon, Prokris. Wiss. Beilage zum Jahresbericht des Humanist. Gymnasiums Aschaffenburg 1956/57, 7 Darstellung, Speere; W. Zschietzschmann, Hellas und Rom (1960) 10 Taf. 6; M. Bieber, Ancient Copies (1977) 71 Abb. 249; B. Freyer-Schauenburg, Gymnasium, 86, 1979, 478 ff. Taf. 23; F. Brommer in: E. Berger (Hrsg.), Parthenon-Kongreß Basel (1984) 186 ff. Taf. 30, 3; LIMC II (1984) 653 Nr. 397 Taf. 478 s. v. Artemis (L. Kahil); Pandora. Women in Classical Greece, AK Baltimore / Dallas / Basel (1995/96) 305 Nr. 87 Abb. (E. Reeder); L. Beschi, RIA 25, 2002, 32 Abb. 14.


Literatur: Zum Typus: N. Himmelmann-Wildschütz, Zur Eigenart des klassischen Götterbildes (1959) 39 Anm. 52; M. Fuchs, JdI 99, 1984, 247 Abb. 17 Bildtypus in röm. Zeit. – Zum Beinamen Elaphebolos: Hom. h. 27, 2; Soph. Trach. 214; u. a. – Zum Fries des Tempels am Ilissos: A. Krug, AntPl 18, 1 (1979) bes. 12 Taf. 4; 5 b Stilvergleiche. – Zu Morosini und möglichen Fundorten in Athen: A. Sacconi, L’Avventura archeologica di Francesco Morosini ad Atene 1687–1688 (1991) 56; L. Beschi, RIA 25, 2002, 32 Abb. 14 FO Akropolis Brauroneion oder Heiligtum der Artemis Agrotera am Ilissos.

(PG)

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